Piper Verlag läßt alle Bücher von Alessandro Baricco neu übersetzen und zieht die bisherigen Übersetzungen von Karin Krieger zurück

Der Piper Verlag hat dem Rechtsvertreter der Übersetzerin Karin Krieger, RA Peter Beisler, unter dem Datum 28. April mitgeteilt, der von seiner Mandantin übersetzte und Ende Februar erschienene Roman Novecento von Alessandro Baricco sei „zwischenzeitlich in einer zweiten Auflage in einer Übersetzung von Erika Christiani erschienen“. Weiter heißt es in dem Schreiben des Verlags: „Alle weiteren Bücher von Alessandro Baricco werden derzeit neu übersetzt und im Laufe des Jahres 1999 umgestellt. Dies gilt auch für die angekündigte Taschenbuchausgabe von Seide. Die Rückgabe der Übersetzungsrechte an Frau Krieger wird voraussichtlich noch während des Jahres erfolgen.“

Zur Vorgeschichte:

Karin Krieger hat für den Piper Verlag insgesamt fünf Bücher von Baricco übersetzt. Erschienen sind bisher die Romane Seide (Februar 1997), Land aus Glas (März 1998) und Novecento (Februar 1999). Noch unveröffentlicht sind ihre Übersetzungen von Oceano mare (abgegeben 1996) und L‘anima di Hegel e le mucche del Wisconsin (abgegeben im März 1998).

In den zahlreichen Rezensionen von Seide, dem deutschen Debüt des bis dahin hierzulande völlig unbekannten italienischen Autors, hat die Kritik weit häufiger und eingehender als sonst üblich auf die besonders gelungene Übersetzung ins Deutsche hingewiesen. Von dem Buch konnten innerhalb weniger Monate mehrere Auflagen verkauft werden, im Sommer 1997 stand es auf den Bestsellerlisten (inzwischen ist allein die Hardcover-Ausgabe in der 16. Auflage mit weit mehr als 100 000 verkauften Exemplaren). Angesichts dieses außerordentlichen Erfolges bat die Übersetzerin den Verlag unter Hinweis auf ‹ 36 Urheberrechtsgesetz um eine angemessene Erfolgsbeteiligung. Als ihr diese abgeschlagen wurde, beauftragte sie auf Anraten des Justitiars der IG Medien im Januar 1998 den Münchner Rechtsanwalt Peter Beisler mit der Wahrung ihrer Rechte. Mit diesem hat sich der Verlag dann darauf geeinigt, der Übersetzerin für Seide eine Erfolgsbeteiligung von 1% vom Nettoladenpreis ab dem 30 001. verkauften Exemplar zu zahlen. Nach Einigung und Zahlung des bisher angefallenen Honorars hat er nun jedoch mitgeteilt, daß er alle Bücher von Baricco neu übersetzen lassen und die Übersetzungen von Karin Krieger zurückziehen werde.

Der Grund für diese im Verlagswesen singuläre Maßnahme wird zwar vom Piper Verlag nicht genannt, kann aber nichts mit den Übersetzungen selbst zu tun haben. Denn bis vor kurzem waren diese wie ihre Urheberin im Piper Verlag hochgeschätzt. Noch im Mai 1998, als Karin Krieger für ihre Seide-Übersetzung den ARGE-ALP-Leserpreis in Salzburg erhielt, hatte der Verlag ihr dazu mit den Worten gratuliert: „Wir freuen uns sehr mit Ihnen und sind stolz auf ¥unserƒ Buch.“ Der Verdacht, daß es sich bei der jetzt überraschend und ohne jede Vorankündigung mitgeteilten Maßnahme um eine Strafaktion gegen die Übersetzerin handelt, weil sie es gewagt hat, ihr Recht als Urheberin mit Hilfe eines Anwalts einzufordern, drängt sich auf.

Als gewählte Vertreter des Berufsverbands der literarischen Übersetzer protestieren wir aufs schärfste gegen ein solches Vorgehen. Wir sehen darin einen krassen und völlig inakzeptablen Anschlag auf unseren Status als Urheber unserer Übersetzungen. Gewiß steht es jedem Verlag frei, sich seine Übersetzer auszusuchen, aber ein bereits veröffentlichtes, erfolgreich verkauftes und allseits gelobtes Übersetzungswerk auf diese Weise nicht nur „aus dem Markt zu nehmen“, sondern rückwirkend aus dem Katalog zu streichen, als ob es nie existiert hätte, und es durch ein anderes zu ersetzen, kommt einem Versuch gleich, dessen Urheberin in ihrer übersetzerischen Existenz zu vernichten.

Zugleich sehen wir darin einen Verrat am Autor, der darauf angewiesen ist, daß sein deutscher Verlag pfleglich und sachgemäß mit seinem Werk umgeht und es in der bestmöglichen Form auf dem Markt präsentiert. Inwiefern eine Neuübersetzung aller seiner Bücher unter solchen Bedingungen sachgemäß sein soll, mag der Verlag ihm erklären.

Aus den gleichen Gründen sehen wir darin schließlich eine grobe Mißachtung der Leserschaft dieses Autors, die ihn bisher in anerkannt hervorragenden Übersetzungen kennenlernen konnte und ihn nun künftig aus unerfindlichen Gründen in ganz anderen Fassungen lesen muß. Alles spricht dafür, daß hier eine ganz und gar sachfremde Willkürentscheidung vorliegt, von der wir auch im Hinblick auf den guten Namen und Ruf des Verlags nur hoffen können, daß er sie schleunigst zurücknimmt.

 

Der Vorstand



Ausführliche Dokumentation zum Fall Piper