Der Fall Piper. Verlauf und Weiterungen
(zusammengefaßt und auf der Pressekonferenz des Übersetzerverbands
während der Frankfurter Buchmesse 1999 vorgetragen von
Burkhart Kroeber)
28. April 1999: nach außergerichtlicher Einigung zwischen
dem Piper Verlag und der Übersetzerin Karin Krieger über
eine nachträgliche Beteiligung am Erfolg des von ihr
übersetzten Bestsellers Seide von Alessandro Baricco
(1% ab 30.000 Ex.) kommt ein Brief von Piper-Geschäftsführer
Hartmut Jedicke an Kriegers Rechtsvertreter RA Peter Beisler
mit der lakonischen Mitteilung, daß Bariccos neues Buch,
Novecento (im Februar 1999 in Kriegers Übersetzung
erschienen), "zwischenzeitlich in einer zweiten Auflage
in einer Übersetzung von Erika Christiani erschienen
ist", und: "Alle weiteren Bücher von Alessandro
Baricco werden derzeit neu übersetzt und im Laufe des
Jahres 1999 umgestellt. Die Rückgabe der Übersetzungsrechte
an Frau Krieger wird voraussichtlich noch während des
Jahres 1999 erfolgen."
Dazu Pressemitteilung
des Übersetzerverbands vom 5. Mai 1999.
Reaktionen: zahlreiche Artikel in Fachpresse sowie in Frankfurter
Rundschau, Süddeutscher Zeitung, Tagesspiegel,
Berliner Zeitung, Spiegel, Frankfurter Allgemeine
Zeitung u.a., bald auch im Ausland: Italien (Corriere,
Espresso), England, Frankreich, Schweden.
Protestbriefe von Kollegen, auch von "einfachen Lesern",
die sich vom Piper Verlag getäuscht fühlen. Die
vielleicht knappste und schärfste Formulierung steht
in einer Resolution
des Jahreskongresses der Fédération Internationale
des Traducteurs (FIT) am 4. August 1999 in Mons (Belgien),
wo es heißt, das Vorgehen des Piper Verlags sei "ganz
einfach ein Fall von kulturellem Vandalismus" (quite
simply an act of cultural vandalism).
In der Tat ist die seither auf dem Markt erhältliche
Ausgabe von Novecento ein verlagsbuchhändlerisches
Unikum: in ein und derselben Aufmachung, auch unter ein und
derselben ISBN-Nummer, gibt es zwei ganz verschiedene Bücher
– außer Titel, Name des Autors und Aufmachung
keinerlei Gemeinsamkeiten, denn der Text ist einmal von Karin
Krieger und einmal von Erika Cristiani übersetzt. Der
Verlag tut so, als handle es sich bei der Neufassung einfach
um eine revidierte 2. Auflage. Nicht einmal der Schutzumschlag
wurde ausgetauscht, was zur Folge hat, daß auf der hinteren
Umschlagsseite von Cristianis Übersetzung ein Satz aus
dem Buch in Kriegers Übersetzung steht...
Zur Qualität der Neufassung gibt es ein Fachgutachten
des Arbeitskreises Italienisch-Übersetzer München,
ausgearbeitet von Friederike Hausmann, das zu dem Schluß
kommt, bei Cristianis Übersetzung handle es sich um "eine
Art Rückfall in die Übersetzungspraxis der fünfziger
Jahre, als man mit dem Original noch recht unbekümmert
umging und allzu vieles den schulmeisterlichen Regeln des
"guten Deutsch" unterwarf". Aus der gesprochenen
Sprache wird eine hölzern geschriebene (das hat auch
der bekannte Schauspieler Christian Brückner so empfunden,
weshalb er sich weigerte, die Cristiani-Übersetzung für
eine geplante Hörbuch-Ausgabe zu sprechen).
Pipers Reaktion auf den Vorwurf, es handle sich um eine Strafaktion
gegen Karin Krieger, weil sie es gewagt hatte, ihr Recht mit
Hilfe eines Anwalts einzuklagen: In einem Rundfunk-Interview
am 30. Mai im Sender Freies Berlin erklärt Piper-Verlagsleiter
Viktor Niemann wörtlich: "Frau Krieger ... ist meines
Erachtens ein Opfer eines sozusagen im Moment sich anbahnenden
Grundsatzstreits zwischen Übersetzerverband und Verlagen.
... Sie ist von den völlig überzogenen Forderungen
des Anwalts in diese Sache immer weiter hineingetrieben worden.
Dahinter steckt auch natürlich der Übersetzerverband,
Burkhart Kroeber, der in der Tat ein beträchtliches Vermögen
mit der Übersetzung von Umberto Ecos "Im Namen der
Rose" gemacht hat und der gesagt hat, Leute, ihr müßt
es nur machen wie ich. Mir hat der Verlag ein Wahn..., ein
Vermögen bezahlt, und das muß man sagen, also,
Umberto Ecos "Im Namen der Rose" ist ein riesiger
Bestseller gewesen, der in Millionen Exemplaren verkauft worden
ist. ... Herr Kroeber treibt ein wenig im Moment die Dinge
auf die Spitze, um sozusagen etwas durchzuboxen, nämlich
eine grundsätzliche prozentuale Beteiligung von Anfang
an, nicht nur im Erfolgsfall ..."
10. Juni 99: Auf einer Podiumsdiskussion im Müncher Literaturhaus,
wo der Fall öffentlich debattiert wird, versteigt sich
Niemann zu der Formulierung, Frau Krieger stehe "unter
Kuratel des Übersetzerverbands und Herrn Kroebers".
Sein eigenes Vorgehen nennt er dagegen eine "zugegeben
kapriziöse Maßnahme" (s. SZ vom 12.
6.).
Juli 99: nach der Münchner Podiumsdiskussion (wo Niemann
erfuhr, daß der von ihm angegriffene Kroeber schon seit
zwei Jahren nicht mehr Vorsitzender des Übersetzerverbands
ist) signalisierte Niemann gegenüber Helga Pfetsch, der
jetzigen Vorsitzenden, daß er zu Verhandlungen bereit
sei. Am 20. Juli kommt es tatsächlich zu einem Treffen
zwischen ihm, Frau Krieger und Frau Pfetsch, in dessen Verlauf
eine Teileinigung erzielt werden kann: nämlich daß
entgegen früherer Ankündigungen der Titel Seide
(einschließlich TB-Ausgabe) weiter in Kriegers Übersetzung
erscheinen solle, ebenso die Titel Land aus Glas und
Oceano mare. Bei Novecento will Piper lediglich
einräumen, daß nach Ausverkauf der Auflage mit
der Übersetzung von Cristiani (ca. 10.000 Ex.) für
weitere Auflagen und Ausgaben wieder die Kriegersche Übersetzung
verwendet werden solle. Beim Titel Hegels Seele oder die
Kühe von Wisconsin sei aber – so der Piper
Verlag jetzt auf einmal, nachdem die fertige Übersetzung
von Karin Krieger seit über einem Jahr im Hause liegt
– eine Neuübersetzung unumgänglich, da Kriegers
Übersetzung "zu viele Fehler" enthalte (die
jedoch Niemann nicht zu präzisieren bereit ist).
Das Treffen endet damit, daß Karin Krieger und Helga
Pfetsch die Teileinigung begrüßen und dem Verlag
erklären, über die restlichen Punkte – Novecento
und Hegels Seele – müsse dann eben gerichtlich
entschieden werden. Es sieht nach einer Entspannung aus. Doch
weit gefehlt:
Am 13. August kommt ein Brief von Pipers Anwalt an Kriegers
Anwalt Beisler, in dem behauptet wird, bei dem Treffen am
20. Juli sei keinerlei Einigung erzielt worden, auch nicht
in Teilen. Darauf Helga Pfetsch an Niemann (17. 8.): Unverständliche
Entscheidung. Damit zwinge der Verlag seine Übersetzerin
geradezu, alle fünf Punkte gerichtlich einzuklagen.
Antwort Niemann (19. 8.): "Meine Angebote, sich zu einigen,
wurden nur dann gerne aufgegriffen, wenn es etwas einzustecken
gab ... Das Entgegenkommen einzustreichen und bei den restlichen
strittigen Punkten zu klagen, das ist – gelinde gesagt
– unreell. ... Bitte wirken Sie auf Frau Krieger ein,
nun ihrerseits einen Schritt auf uns zuzugehen."
Fazit: Der Verlag ist also der Ansicht, Karin Krieger müsse
ihm irgendwie "entgegenkommen" – als hätte
sie eine Teilschuld an dem Konflikt. Damit zwingt er sie tatsächlich,
sich ihr Recht vor Gericht zu erstreiten. Am 10. Sept. 99
hat RA Beisler infolgedessen, unterstützt von der IG
Medien, beim Landgericht München I die entsprechende
Klage eingereicht (Auszüge
aus der Klageschrift).
Weiterungen des Falles
Am 7. Juli, also mitten in der heißen Phase des Konflikts,
gibt Piper eine neues Beteiligungsmodell für Übersetzer
bekannt. Kernsatz: "Ab sofort beteiligt der Piper Verlag
seine Übersetzer prozentual am Verlagserlös",
und zwar bei Hardcover-Ausgaben mit 1% ab dem 30.000 Exemplar.
Auf Helga Pfetschs Anfrage, was genau mit "Verlagserlös"
gemeint sei, gibt Niemann keine klare Antwort, verneint aber
ausdrücklich, daß damit der Nettoabgabepreis gemeint
sei.
Daraufhin erklärt der Übersetzerverband in einer
Pressemitteilung
vom 26. Juli 1999, bei dem neuen Beteiligungsmodell handle
es sich um "Augenwischerei".
Überraschend meldet sich nun auch der Verleger-Ausschuß
des Börsenvereins zu Wort: Im Börsenblatt
vom 3. August erklärt er: "Durch unkommentierte
Zitate aus der Presseerklärung der Bundessparte Übersetzer
des VS wird der Piper Verlag bedauerlicherweise in ein falsches
Licht gerückt. Der Verlagserlös ist als Bemessungsgrundlage
für eine prozentuale Honorierung durchaus üblich.
Es handelt sich dabei keineswegs um eine manipulierbare Größe,
deren Berechnung "im Ermessen des Verlags" liegt;
vielmehr ist der Verlagserlös nach betriebswirtschaftlichen
Regeln genau definierbar und im Streitfall auch nachprüfbar.
Eine Benachteiligung des Übersetzers ist mit der Praktizierung
eines solchen Modells also nicht verbunden."
Auf sofortige schriftliche Nachfrage unsererseits, was denn
genau mit Verlagserlös gemeint sei – vielleicht
das, was gewöhnlich "Nettoabgabepreis" genannt
wird, was aber Niemann ausdrücklich verneint hatte (s.
o.) – hat der Verlegerausschuß bis heute keinerlei
Antwort gegeben.
In diesem Zusammenhang ist leider auch festzustellen, daß
während der ganzen Zeit seit Beginn des Konflikts mit
Piper kein Wort von seiten des Verleger-Ausschusses zu hören
war – keinerlei Stellungnahme zu Viktor Niemans "kapriziöser
Maßnahme"...
Dabei wäre Anlaß genug gewesen, besonders wenn
man noch einen weiteren Gesichtspunkt hinzunimmt: Die Neueinführung
der Bemessungsgrundlage "Verlagserlös" (wie
immer dieser definiert wird) anstelle des Ladenpreises hat
Niemann laut Buchreport vom 20. Juli mit dem Argument
begründet, "angesichts der Unsicherheit der Preisbindung
[mache es] keinen Sinn mehr, die Übersetzerhonorare an
den Ladenpreis zu koppeln". Dazu geben wir Übersetzer
zu bedenken: Wer so argumentiert, fällt der ganzen Buchbranche
in den Rücken, da er praktisch so tut, als ob die Buchpreisbindung
schon abgeschafft wäre...
Sollte letzteres wirklich eintreten, wäre das jedoch
überhaupt kein Grund, von der Bemessungsgrundlage "Ladenpreis"
abzugehen. Es ist nicht einzusehen, wieso man dann anders
verfahren sollte als in Ländern, wo es ohnehin keinen
festen Ladenpreis gibt. Nach welcher Bemessungsgrundlage verfährt
man denn z.B. in Amerika?
In jedem Fall muß klar und nachvollziehbar sein, nach
welchem Parameter eine prozentuale Beteiligung erfolgen soll
(das gilt übrigens auch und erst recht für Autoren).
Angesichts mancher Äußerungen im Zusammenhang mit
dem drohenden Sturz der Buchpreisbindung drängt sich
leider der Verdacht auf, daß manche Verlage bei der
Gelegenheit am liebsten das ganze System der Honorare für
Buchproduzenten zu deren Ungunsten ändern würden.
Wenn das geschähe, bekämen sie freilich nicht nur
Ärger mit den Übersetzern, sondern auch und viel
mehr noch mit den Autoren.
(Soweit die Darlegung des Falles auf der Pressekonferenz des
Übersetzerverbands während der Frankfurter Buchmesse
1999)
Piper-Prozeß - erste Instanz
Im Namen des Volkes wurde am 4. Mai 2000 im Rechtsstreit
Karin Krieger / Piper Verlag in erster Instanz das
Urteil gesprochen. Darin wird es dem Piper Verlag
untersagt
a) eine Taschenbuchausgabe von Alessandro Bariccos SEIDE in
einer anderen Übersetzung als der von Karin Krieger "zu
vervielfältigen, zu verbreiten oder in Verkehr zu bringen",
b) Bariccos NOVECENTO in der Übersetzung von Erika Cristiani
"zu verbreiten oder in den Verkehr zu bringen", wenn sich
das Buch in der Aufmachung (ISBN-Nr., Umschlagbild, Textauszug)
nicht deutlich von Karin Kriegers Übersetzung unterscheidet,
und der Verlag wird
verurteilt
Karin Krieger einen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr
durch die Verbreitung von NOVECENTO in irreführender
Aufmachung entstanden ist.
In allen anderen Punkten wurde die Klage abgewiesen.
Wichtig: Die Übersetzungsverträge sahen eine "Einmalvergütung",
d.h. ein vom Verkaufserfolg unabhängiges Seitenhonorar
vor. Dadurch waren es laut Auffassung des Gerichts keine "Verlagsverträge",
sondern "urheberrechtliche Bestellverträge". Aus diesen
ergebe sich keine Verwertungspflicht. Anders bei SEIDE –
hier sei durch die nachträglich vereinbarte Vergütungsregelung
vom April 1999 der ursprüngliche Bestellvertrag in einen
Verlagsvertrag umgewandelt worden, was zur Auswertungspflicht
führe. Zitat aus der Urteilsbegründung: "Angesichts
des erheblichen Erfolgs dieses Werkes war nämlich der
Anteil der Honorierung, der auf dem Erfolg beruht, dem Festhonorar
in Ziffer a) der neuen Vereinbarung nicht mehr untergeordnet."
Die Brisanz dieser erstinstanzlichen Überlegungen zeigt
sich schon darin, daß seither in vielen Übersetzungsverträgen
eine Verwertungspflicht ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Ob diese Auffassung allerdings Bestand hat, wird sich zeigen.
Beide Seiten haben Berufung eingelegt. Es bleibt also weiterhin
spannend!
[ Zum (vorläufigen) Happy
End ] |