Dokumentation zum Fall Piper

[ Pressemitteilung des VdÜ vom 21.6.2004 ]

[ Pressemitteilung des BGH vom 18.6.2004 ]

[ Urteilsschrift des OLG München vom 1.3.2001 ]

[ Pressemitteilung des VdÜ vom 2.3. 2001 ]

[ Auszüge aus der Klageschrift vom 10.9.1999 ]

[ Resolution der FIT vom 4.8.1999 ]

[ Pressemitteilung des VdÜ vom 26.7.1999 ]

[ Pressemitteilung des VdÜ vom 5.5.1999 ]


Der Fall Piper. Verlauf und Weiterungen


(zusammengefaßt und auf der Pressekonferenz des Übersetzerverbands während der Frankfurter Buchmesse 1999 vorgetragen von Burkhart Kroeber)

28. April 1999: nach außergerichtlicher Einigung zwischen dem Piper Verlag und der Übersetzerin Karin Krieger über eine nachträgliche Beteiligung am Erfolg des von ihr übersetzten Bestsellers Seide von Alessandro Baricco (1% ab 30.000 Ex.) kommt ein Brief von Piper-Geschäftsführer Hartmut Jedicke an Kriegers Rechtsvertreter RA Peter Beisler mit der lakonischen Mitteilung, daß Bariccos neues Buch, Novecento (im Februar 1999 in Kriegers Übersetzung erschienen), "zwischenzeitlich in einer zweiten Auflage in einer Übersetzung von Erika Christiani erschienen ist", und: "Alle weiteren Bücher von Alessandro Baricco werden derzeit neu übersetzt und im Laufe des Jahres 1999 umgestellt. Die Rückgabe der Übersetzungsrechte an Frau Krieger wird voraussichtlich noch während des Jahres 1999 erfolgen."

Dazu Pressemitteilung des Übersetzerverbands vom 5. Mai 1999.

Reaktionen: zahlreiche Artikel in Fachpresse sowie in Frankfurter Rundschau, Süddeutscher Zeitung, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung u.a., bald auch im Ausland: Italien (Corriere, Espresso), England, Frankreich, Schweden.

Protestbriefe von Kollegen, auch von "einfachen Lesern", die sich vom Piper Verlag getäuscht fühlen. Die vielleicht knappste und schärfste Formulierung steht in einer Resolution des Jahreskongresses der Fédération Internationale des Traducteurs (FIT) am 4. August 1999 in Mons (Belgien), wo es heißt, das Vorgehen des Piper Verlags sei "ganz einfach ein Fall von kulturellem Vandalismus" (quite simply an act of cultural vandalism).

In der Tat ist die seither auf dem Markt erhältliche Ausgabe von Novecento ein verlagsbuchhändlerisches Unikum: in ein und derselben Aufmachung, auch unter ein und derselben ISBN-Nummer, gibt es zwei ganz verschiedene Bücher – außer Titel, Name des Autors und Aufmachung keinerlei Gemeinsamkeiten, denn der Text ist einmal von Karin Krieger und einmal von Erika Cristiani übersetzt. Der Verlag tut so, als handle es sich bei der Neufassung einfach um eine revidierte 2. Auflage. Nicht einmal der Schutzumschlag wurde ausgetauscht, was zur Folge hat, daß auf der hinteren Umschlagsseite von Cristianis Übersetzung ein Satz aus dem Buch in Kriegers Übersetzung steht...

Zur Qualität der Neufassung gibt es ein Fachgutachten des Arbeitskreises Italienisch-Übersetzer München, ausgearbeitet von Friederike Hausmann, das zu dem Schluß kommt, bei Cristianis Übersetzung handle es sich um "eine Art Rückfall in die Übersetzungspraxis der fünfziger Jahre, als man mit dem Original noch recht unbekümmert umging und allzu vieles den schulmeisterlichen Regeln des "guten Deutsch" unterwarf". Aus der gesprochenen Sprache wird eine hölzern geschriebene (das hat auch der bekannte Schauspieler Christian Brückner so empfunden, weshalb er sich weigerte, die Cristiani-Übersetzung für eine geplante Hörbuch-Ausgabe zu sprechen).

Pipers Reaktion auf den Vorwurf, es handle sich um eine Strafaktion gegen Karin Krieger, weil sie es gewagt hatte, ihr Recht mit Hilfe eines Anwalts einzuklagen: In einem Rundfunk-Interview am 30. Mai im Sender Freies Berlin erklärt Piper-Verlagsleiter Viktor Niemann wörtlich: "Frau Krieger ... ist meines Erachtens ein Opfer eines sozusagen im Moment sich anbahnenden Grundsatzstreits zwischen Übersetzerverband und Verlagen. ... Sie ist von den völlig überzogenen Forderungen des Anwalts in diese Sache immer weiter hineingetrieben worden. Dahinter steckt auch natürlich der Übersetzerverband, Burkhart Kroeber, der in der Tat ein beträchtliches Vermögen mit der Übersetzung von Umberto Ecos "Im Namen der Rose" gemacht hat und der gesagt hat, Leute, ihr müßt es nur machen wie ich. Mir hat der Verlag ein Wahn..., ein Vermögen bezahlt, und das muß man sagen, also, Umberto Ecos "Im Namen der Rose" ist ein riesiger Bestseller gewesen, der in Millionen Exemplaren verkauft worden ist. ... Herr Kroeber treibt ein wenig im Moment die Dinge auf die Spitze, um sozusagen etwas durchzuboxen, nämlich eine grundsätzliche prozentuale Beteiligung von Anfang an, nicht nur im Erfolgsfall ..."

10. Juni 99: Auf einer Podiumsdiskussion im Müncher Literaturhaus, wo der Fall öffentlich debattiert wird, versteigt sich Niemann zu der Formulierung, Frau Krieger stehe "unter Kuratel des Übersetzerverbands und Herrn Kroebers". Sein eigenes Vorgehen nennt er dagegen eine "zugegeben kapriziöse Maßnahme" (s. SZ vom 12. 6.).

Juli 99: nach der Münchner Podiumsdiskussion (wo Niemann erfuhr, daß der von ihm angegriffene Kroeber schon seit zwei Jahren nicht mehr Vorsitzender des Übersetzerverbands ist) signalisierte Niemann gegenüber Helga Pfetsch, der jetzigen Vorsitzenden, daß er zu Verhandlungen bereit sei. Am 20. Juli kommt es tatsächlich zu einem Treffen zwischen ihm, Frau Krieger und Frau Pfetsch, in dessen Verlauf eine Teileinigung erzielt werden kann: nämlich daß entgegen früherer Ankündigungen der Titel Seide (einschließlich TB-Ausgabe) weiter in Kriegers Übersetzung erscheinen solle, ebenso die Titel Land aus Glas und Oceano mare. Bei Novecento will Piper lediglich einräumen, daß nach Ausverkauf der Auflage mit der Übersetzung von Cristiani (ca. 10.000 Ex.) für weitere Auflagen und Ausgaben wieder die Kriegersche Übersetzung verwendet werden solle. Beim Titel Hegels Seele oder die Kühe von Wisconsin sei aber – so der Piper Verlag jetzt auf einmal, nachdem die fertige Übersetzung von Karin Krieger seit über einem Jahr im Hause liegt – eine Neuübersetzung unumgänglich, da Kriegers Übersetzung "zu viele Fehler" enthalte (die jedoch Niemann nicht zu präzisieren bereit ist).

Das Treffen endet damit, daß Karin Krieger und Helga Pfetsch die Teileinigung begrüßen und dem Verlag erklären, über die restlichen Punkte – Novecento und Hegels Seele – müsse dann eben gerichtlich entschieden werden. Es sieht nach einer Entspannung aus. Doch weit gefehlt:

Am 13. August kommt ein Brief von Pipers Anwalt an Kriegers Anwalt Beisler, in dem behauptet wird, bei dem Treffen am 20. Juli sei keinerlei Einigung erzielt worden, auch nicht in Teilen. Darauf Helga Pfetsch an Niemann (17. 8.): Unverständliche Entscheidung. Damit zwinge der Verlag seine Übersetzerin geradezu, alle fünf Punkte gerichtlich einzuklagen.

Antwort Niemann (19. 8.): "Meine Angebote, sich zu einigen, wurden nur dann gerne aufgegriffen, wenn es etwas einzustecken gab ... Das Entgegenkommen einzustreichen und bei den restlichen strittigen Punkten zu klagen, das ist – gelinde gesagt – unreell. ... Bitte wirken Sie auf Frau Krieger ein, nun ihrerseits einen Schritt auf uns zuzugehen."

Fazit: Der Verlag ist also der Ansicht, Karin Krieger müsse ihm irgendwie "entgegenkommen" – als hätte sie eine Teilschuld an dem Konflikt. Damit zwingt er sie tatsächlich, sich ihr Recht vor Gericht zu erstreiten. Am 10. Sept. 99 hat RA Beisler infolgedessen, unterstützt von der IG Medien, beim Landgericht München I die entsprechende Klage eingereicht (Auszüge aus der Klageschrift).

Weiterungen des Falles

Am 7. Juli, also mitten in der heißen Phase des Konflikts, gibt Piper eine neues Beteiligungsmodell für Übersetzer bekannt. Kernsatz: "Ab sofort beteiligt der Piper Verlag seine Übersetzer prozentual am Verlagserlös", und zwar bei Hardcover-Ausgaben mit 1% ab dem 30.000 Exemplar.

Auf Helga Pfetschs Anfrage, was genau mit "Verlagserlös" gemeint sei, gibt Niemann keine klare Antwort, verneint aber ausdrücklich, daß damit der Nettoabgabepreis gemeint sei.

Daraufhin erklärt der Übersetzerverband in einer Pressemitteilung vom 26. Juli 1999, bei dem neuen Beteiligungsmodell handle es sich um "Augenwischerei".

Überraschend meldet sich nun auch der Verleger-Ausschuß des Börsenvereins zu Wort: Im Börsenblatt vom 3. August erklärt er: "Durch unkommentierte Zitate aus der Presseerklärung der Bundessparte Übersetzer des VS wird der Piper Verlag bedauerlicherweise in ein falsches Licht gerückt. Der Verlagserlös ist als Bemessungsgrundlage für eine prozentuale Honorierung durchaus üblich. Es handelt sich dabei keineswegs um eine manipulierbare Größe, deren Berechnung "im Ermessen des Verlags" liegt; vielmehr ist der Verlagserlös nach betriebswirtschaftlichen Regeln genau definierbar und im Streitfall auch nachprüfbar. Eine Benachteiligung des Übersetzers ist mit der Praktizierung eines solchen Modells also nicht verbunden."

Auf sofortige schriftliche Nachfrage unsererseits, was denn genau mit Verlagserlös gemeint sei – vielleicht das, was gewöhnlich "Nettoabgabepreis" genannt wird, was aber Niemann ausdrücklich verneint hatte (s. o.) – hat der Verlegerausschuß bis heute keinerlei Antwort gegeben.

In diesem Zusammenhang ist leider auch festzustellen, daß während der ganzen Zeit seit Beginn des Konflikts mit Piper kein Wort von seiten des Verleger-Ausschusses zu hören war – keinerlei Stellungnahme zu Viktor Niemans "kapriziöser Maßnahme"...

Dabei wäre Anlaß genug gewesen, besonders wenn man noch einen weiteren Gesichtspunkt hinzunimmt: Die Neueinführung der Bemessungsgrundlage "Verlagserlös" (wie immer dieser definiert wird) anstelle des Ladenpreises hat Niemann laut Buchreport vom 20. Juli mit dem Argument begründet, "angesichts der Unsicherheit der Preisbindung [mache es] keinen Sinn mehr, die Übersetzerhonorare an den Ladenpreis zu koppeln". Dazu geben wir Übersetzer zu bedenken: Wer so argumentiert, fällt der ganzen Buchbranche in den Rücken, da er praktisch so tut, als ob die Buchpreisbindung schon abgeschafft wäre...

Sollte letzteres wirklich eintreten, wäre das jedoch überhaupt kein Grund, von der Bemessungsgrundlage "Ladenpreis" abzugehen. Es ist nicht einzusehen, wieso man dann anders verfahren sollte als in Ländern, wo es ohnehin keinen festen Ladenpreis gibt. Nach welcher Bemessungsgrundlage verfährt man denn z.B. in Amerika?

In jedem Fall muß klar und nachvollziehbar sein, nach welchem Parameter eine prozentuale Beteiligung erfolgen soll (das gilt übrigens auch und erst recht für Autoren). Angesichts mancher Äußerungen im Zusammenhang mit dem drohenden Sturz der Buchpreisbindung drängt sich leider der Verdacht auf, daß manche Verlage bei der Gelegenheit am liebsten das ganze System der Honorare für Buchproduzenten zu deren Ungunsten ändern würden. Wenn das geschähe, bekämen sie freilich nicht nur Ärger mit den Übersetzern, sondern auch und viel mehr noch mit den Autoren.

(Soweit die Darlegung des Falles auf der Pressekonferenz des Übersetzerverbands während der Frankfurter Buchmesse 1999)


Piper-Prozeß - erste Instanz

Im Namen des Volkes wurde am 4. Mai 2000 im Rechtsstreit Karin Krieger / Piper Verlag in erster Instanz das Urteil gesprochen. Darin wird es dem Piper Verlag

untersagt

a) eine Taschenbuchausgabe von Alessandro Bariccos SEIDE in einer anderen Übersetzung als der von Karin Krieger "zu vervielfältigen, zu verbreiten oder in Verkehr zu bringen",

b) Bariccos NOVECENTO in der Übersetzung von Erika Cristiani "zu verbreiten oder in den Verkehr zu bringen", wenn sich das Buch in der Aufmachung (ISBN-Nr., Umschlagbild, Textauszug) nicht deutlich von Karin Kriegers Übersetzung unterscheidet, und der Verlag wird

verurteilt

Karin Krieger einen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Verbreitung von NOVECENTO in irreführender Aufmachung entstanden ist.

In allen anderen Punkten wurde die Klage abgewiesen.

Wichtig: Die Übersetzungsverträge sahen eine "Einmalvergütung", d.h. ein vom Verkaufserfolg unabhängiges Seitenhonorar vor. Dadurch waren es laut Auffassung des Gerichts keine "Verlagsverträge", sondern "urheberrechtliche Bestellverträge". Aus diesen ergebe sich keine Verwertungspflicht. Anders bei SEIDE – hier sei durch die nachträglich vereinbarte Vergütungsregelung vom April 1999 der ursprüngliche Bestellvertrag in einen Verlagsvertrag umgewandelt worden, was zur Auswertungspflicht führe. Zitat aus der Urteilsbegründung: "Angesichts des erheblichen Erfolgs dieses Werkes war nämlich der Anteil der Honorierung, der auf dem Erfolg beruht, dem Festhonorar in Ziffer a) der neuen Vereinbarung nicht mehr untergeordnet."

Die Brisanz dieser erstinstanzlichen Überlegungen zeigt sich schon darin, daß seither in vielen Übersetzungsverträgen eine Verwertungspflicht ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Ob diese Auffassung allerdings Bestand hat, wird sich zeigen. Beide Seiten haben Berufung eingelegt. Es bleibt also weiterhin spannend!

[ Zum (vorläufigen) Happy End ]