LCB: Auf Wiedervorlage: Tolstoi im Kaukasus
Die Übersetzerin Rosemarie Tietze im Gespräch mit Jens Bisky
Lew Tolstoi war ein Kenner des Kaukasus und seiner Menschen. Vom Leben auf dem Landgut der Familie angeödet, begleitete er 1851 seinen ältesten Bruder Nikolai in einen Krieg, den das Russische Imperium gegen die muslimischen Kaukasusfürstentümer führte – eine Tragödie, die ihn tief prägte. Was sich dort abspielte, beschreibt er aus allen Perspektiven: an der Seite gelangweilter russischer Soldaten, die zum Freizeitvergnügen ein tschetschenisches Dorf zerstören, und neben den untröstlichen Überlebenden, die in den Trümmern ihrer Behausungen hocken. Mit ethnographischem Blick schildert er die Faszinationsgeschichte der »Kaukasier«, der russischen Abenteurer, die sich, bestrickt von der stolzen Schönheit und Unbezwingbarkeit der Bergbewohner, auf ein Leben einlassen, an dessen Fremdheit sie scheitern. In ihre Neuübersetzung von Tolstois Texten über den Kaukasus – von der nüchtern protokollhaften frühen Prosa von Überfall (1852) und Holzschlag (1855) bis zu den romanhaft farbigen Kosaken (1863), dem harten mündlichen Duktus des Gefangenen im Kaukasus (1872) und dem in Montagetechnik verfassten Hadschi Murat (postum 1912) – hat Rosemarie Tietze viele Jahre der Recherche und der sprachlichen Feinarbeit fließen lassen. Unter dem Titel „Krieg im Kaukasus“ sind sie jetzt in einem prächtigen Band im Suhrkamp Verlag erschienen.
Rosemarie Tietze liest, kommentiert und spricht mit dem Kritiker Jens Bisky, Redakteur der Süddeutschen Zeitung.
Eintritt 8 Euro / erm. 5 Euro