Ein weit verbreitetes Vorurteil lautet: Lyrik lässt sich nicht übersetzen – oder: Lyrik lässt sich eigentlich nicht übersetzen. Wie die meisten Vorurteile ist auch dieses Vorurteil falsch, was sich allein daran zeigt, dass Lyrik ja ununterbrochen übersetzt wird – und das schon seit mindestens zweieinhalbtausend Jahren. Wie an den meisten Vorurteilen ist aber auch an diesem Vorurteil etwas dran, und das zeigt sich im eigentlich: das „Eigentliche“ von Gedichten ist nicht allein ihr Text, ihre Wörtlichkeit, ihre Semantik – das alles lässt sich genau so gut oder genauso schwer übersetzen wie sich jeder Text übersetzen lässt. Hinzu kommen beim Gedicht aber zwei weitere Kategorien: zum einen die Form oder Struktur des Gedichts (feste oder offene Metrik, Reimschemata, Parallelismen und Symmetrien, Homophonien usw.), die sich oft schwer, gar nicht oder nur auf Kosten der Semantik übertragen lässt und die ja in jedem guten Gedicht Nicht-Semantisches mitträgt und mittransportiert. Zum anderen der ganze Komplex des Lautlichen. Und diese Lautlichkeit in eine andere Sprache zu bringen, das Gedicht auch als klangliches Ereignis zu „übersetzen“ oder auch nur annähernd adäquate Formen zu finden, das scheint das zentrale Problem der Übersetzung von Lyrik zu sein.

Im Seminar wollen wir mit diesen drei Ebenen umgehen – und umgehen heißt zuallererst, die jeweiligen Strukturen überhaupt zu sehen und zu erkennen. Übersetzen lässt sich ja überhaupt nur, was man vorher zumindest gesehen hat. Eine Binsenweisheit, aber in diesem Fall von besonderer Bedeutung.

Alle TeilnehmerInnen bringen ihr lyrisches Übersetzungsvorhaben mit nach München und versuchen, es so vorzustellen (Semantik, Form, Klang), dass es auch ohne Kenntnis der Ausgangssprache von der ganzen Gruppe diskutiert werden kann. ReferentInnen werden langjährige Erfahrungen beisteuern.

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