Dritte Verhandlungsrunde Buchverlage/Literaturübersetzer: Wieder nur ein Scheinangebot von Verlegerseite

Seit dem 1. Juli 2002 ist das neue Urhebervertragsrecht in Kraft. Darin fordert der Gesetzgeber Urheber und Verwerter auf, in Eigenregie zu einvernehmlichen Vergütungsregeln zu kommen. Dringend geboten ist dies vor allem bei den Literaturübersetzern, für die in der Begründung des Gesetzes ausdrücklich und unmissverständlich festgehalten ist, dass ihre derzeitige Honorierung nicht als angemessen, ja nicht einmal als redlich bezeichnet werden kann (Bundestag Drucksache 14/8058, S. 18).

Nach zwei Verhandlungsrunden, in denen die Verlegerseite in der Substanz keinerlei Bereitschaft gezeigt hat, sich dem Ziel einer angemessenen Honorierung für Literaturübersetzungen anzunähern, stellt der VdÜ fest, dass auch das jüngste Angebot der Verlegervereinigung Belletristik und Sachbuch – 1% Erlösbeteiligung vom Nettoladenpreis bei gebundenen Ausgaben ab dem ersten Exemplar – völlig unzureichend im Sinne des neuen Urhebervertragsrechts ist. Entgegen der Darstellung in der Öffentlichkeit als weit reichendes Entgegenkommen der Verlegerseite handelt es sich dabei im Kern lediglich um eine formale Beteiligung, die nur in den höchst seltenen Fällen enorm hoher Verkaufszahlen der Hardcoverausgabe greift, da das pauschale Seitenhonorar auf die Beteiligung angerechnet werden soll (siehe Anlage 1 und 2). Für so genannte Bestseller aber sah bereits die alte Fassung des Gesetzes eine Nachhonorierung des Übersetzers vor. In jüngst abgeschlossenen Verfahren zu derartigen Fällen nach altem Recht – also bevor den Literaturübersetzern per Gesetz der Anspruch auf eine „angemessene Vergütung“ zuerkannt wurde – haben Gerichte hier bereits Beteiligungssätze zwischen 1% und 3 % veranschlagt.

Gegenüber Verträgen, die schon jetzt Beteiligungen oder zusätzliche Vergütungen ab bestimmten Auflagenhöhen vorsehen, würde die vorgeschlagene Beteiligungsregelung vielfach sogar eine Honorarminderung für die Übersetzer bedeuten.

Vorschläge der Verlegervereinigung zur Neuregelung des Grundhonorars (Honorar pro Normseite) und zur Beteiligung an den Lizenzerlösen fehlen bislang vollständig, obwohl die weitere Vermarktung des gebundenen Buches eine immer größere Rolle spielt. Stattdessen machen die Verleger in der Öffentlichkeit Stimmung mit der Behauptung, jede Honorarerhöhung für die Übersetzer bedeute künftig weniger übersetzte Bücher in den Regalen. Dies ist der Versuch, die Leser gegen die Übersetzer auszuspielen. Gleichzeitig werden die insbesondere bei amerikanischer Literatur oft horrenden Lizenzgebühren als unverrückbar dargestellt. Als Treuhänder der Urheberrechte ihrer Autoren und Übersetzer ist es jedoch Aufgabe der Verlage, zwischen diesen Gruppen für einen fairen Ausgleich zu sorgen. Daher liegt es durchaus im Bereich des Zumutbaren, ausländischen Autoren zu verdeutlichen, dass eine angemessen Honorierung ihrer Übersetzer die Grundvoraussetzung für die Vermarktung ihrer Werke im deutschsprachigem Raum ist.

Berechtigte Forderungen

Auch von Verlegerseite wurde weder im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch bei den bisherigen Verhandlungsrunden bestritten, dass die Vergütung für Übersetzungen kärglich ist. Zudem stagnieren diese niedrigen Honorare – sie bewegen sich in etwa auf dem Niveau der Entlohnung für Reinigungskräfte – seit Jahrzehnten, ungeachtet des Anstiegs der Lebenshaltungskosten in dieser Zeit. So ist ein doppelter Nachholbedarf entstanden.

Darüber hinaus steht die Honorarsituation in krassem Gegensatz zur wirtschaftlichen Bedeutung von Übersetzungen im Buchsektor: Im Jahre 2000 betrug der Anteil von Übersetzungen an Erstauflagen 12,1 %, der Anteil an übersetzter Belletristik sogar 37,7 %. Tatsache ist, dass die Übersetzer bei diesen Tarifen die Veröffentlichung von sichtlich gut verkaufter Literatur praktisch subventionieren – durch das Bescheiden mit Einkommen nahe der Geringfügigkeitsgrenze bzw. mit lukrativeren Nebenjobs.

Der VdÜ hält daher sein bereits im Juli 2002 vorgelegtes Stufenmodell zur Realisierung einer angemessenen Vergütung nach wie vor für die geeignete Verhandlungsgrundlage und die darin formulierten Forderungen für berechtigt und realistisch (siehe Anlage 3).

Die Zeit für Verhandlungen läuft ab

Sollte sich in der nunmehr knappen verbleibenden Zeit weiterhin zeigen, dass die Verlegerseite immer noch nicht ernsthaft gewillt ist, der Aufforderung des Gesetzgebers nachzukommen, sieht sich der VdÜ gezwungen, das Scheitern der Verhandlungen zu erklären und eine Schlichtung einzuleiten. Die dann wohl zwingende Zunahme von Rechtsstreitigkeiten ließe sich leicht vermeiden, würde die Verlegerseite endlich ihren notwendigen Beitrag zur Umsetzung des neuen Urhebervertragsrechts leisten.

 

Anlage 1

1 % Beteiligung ab dem 1. Exemplar der gebundenen Ausgabe – ein Rechenexempel (auf der Basis des in der Presse veröffentlichten Beispiels der Verlegervereinigung)

Buchumfang: 600 Seiten
Ladenpreis: 24,80 Euro;
Nettoladenpreis 23,18 Euro
Honorar für die Übersetzung bei einem Seitenhonorar von 16,67 Euro: 10.000 Euro
(Hierzu benötigt der Übersetzer bei einem Text durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades 5 bis 6 Monate. Bei durchgängiger Auftragslage hat er also einen Jahresumsatz von 20000 bis 24000 Euro. Davon sind Betriebskosten, Steuern, Sozialabgaben, Rückstellungen für den Krankheitsfall und Zeiten der Auftragslosigkeit sowie Altersvorsorge zu leisten. Urlaubszeiten sind nicht berücksichtigt.)
Auflagenbeteiligung 1 %: 0,232 Euro pro verkauftem Exemplar, anzurechnen auf das Grundhonorar.
10000 Euro : 0,232 = 43.103
Eine Erhöhung des Grundhonorars tritt also erst ab 43.104 verkauften Exemplaren ein. Zu einer Verdoppelung dieses Honorars käme es erst bei 86.207 verkauften Exemplaren.
Selbst von Verlegerseite wurde mehrfach die Notwendigkeit einer Verdreifachung des bisherigen Honorars eingeräumt – diese aber würde erst bei 129.310 verkauften Exemplaren realisiert.
Verkaufszahlen wie die oben genannten werden nur höchst selten erreicht, sodass eine Verbesserung der Honorarsituation lediglich im Falle von Best- oder Longsellern eintreten würde. Hierfür aber hatte bereits das alte Urhebergesetz die Möglichkeit einer Vertragsnachbesserung vorgesehen.
Unterhalb solcher Verkaufszahlen sollen also nach der Vorstellung der Verlegervereinigung die bisher gezahlten Grundhonorare „angemessen“ sein, welche sich zum Teil noch erheblich unter den genannten 16,67 Euro bewegen!
Von einer angemessenen Vergütung im Sinne des neuen Gesetzes ist dies weit entfernt.

 

Anlage 2

Angemessene Vergütung in einem vergleichbaren Sektor – wie Gerichtsübersetzer laut Gesetz honoriert werden müssen:

Das Gesetz zur Entschädigung von Sachverständigen und Zeugen, § 17 Dolmetscher und Übersetzer, sieht in Abs.3 als Mindesthonorar 1 Euro pro Zeile à 50 Anschlägen vor, bei erschwerten Bedingungen oder wegen schwerer Lesbarkeit des Textes bis zu 4,30 Euro. Umgerechnet auf die im Buchbereich übliche Normseite von 30 Zeilen à 60 Anschlägen ergäbe sich hieraus ein Honorar von mindestens ca. 30 Euro für einfachste Texte bis hin zu über 100 Euro, berücksichtigt man die Schwierigkeitsgrade, die bei belletristischen Texten gang und gäbe sind.

Nach dem 1%-Beteiligungsmodell der Verlegerseite und bei Zugrundelegung des vorgetragenen Beispiels ergäbe sich bei Buchübersetzern ein entsprechendes Honorar wie folgt:

Buchumfang: 600 Seiten
Nettoladenpreis; 23,18 Euro
Absatzbeteiligung: 1% = 0,232 Euro
Seitenhonorar Beispiel Verleger: 10.000 Euro : 600 (Normseiten) = 16,67 Euro
Gerichtshonorar: 1 Euro pro Zeile = ca. 30 Euro pro Normseite
600 x 30 Euro = 18.000 Euro
18.000 Euro : 0,232 Euro = 77.661 verkaufte Exemplare
Somit käme der Buchübersetzer erst ab 77.661 verkauften Exemplaren auf das Seitenhonorar eines Gerichtsübersetzers für einen Text des untersten Schwierigkeitsgrades (30 Euro).
Die Grundvergütung von 16,67 Euro pro Normseite entspricht also gerade einmal 56 % der absolut niedrigsten Grundvergütung eines Gerichtsübersetzers.
Legt man beim Gerichtsübersetzer auch nur eine Vergütung von 2 Euro pro Zeile zugrunde, erhält der Literaturübersetzer bei dem oben genannten Seitenpreis lediglich 27,8 % von dessen Honorar. Die 100%-Marke (also 60 Euro pro Normseite) würde der Literaturübersetzer erst bei 155.172 verkauften Exemplaren erreichen!

 

Anlage 3

Angemessene Vergütung – Stufenmodell der Literaturübersetzer zur Umsetzung des Urhebervertragsrechts

Der VdÜ hält seine bereits im Juli 2002 nach der Verabschiedung des neuen Urhebervertragsrechts vorgelegten Vorschläge nach wie vor für eine geeignete Verhandlungsgrundlage. Dieses Modell sieht im Einzelnen vor:

  1. Schrittweise Angleichung der Seitenhonorare an die allgemeine Einkommensentwicklung: je nach Schwierigkeitsgrad des zu übersetzenden Textes zunächst 22, 28 oder 34 Euro.
  2. Anteil am Verkaufserlös; er steht den Übersetzern als Urhebern neben dem Originalautor zu, wurde ihnen aber bisher vorenthalten: 3 % vom Nettoladenpreis der verkauften Exemplare, nicht anrechenbar auf das Grundhonorar.
  3. Angemessener Anteil an den Erlösen bei Lizenzvergaben entsprechend dem Verteilungsschlüssel zwischen Originalautor und Verlag der deutschsprachigen Ausgabe; bisher ebenfalls vorenthalten: nach Abzug der Vergütung für den Originalautor 60 % bei buchnahen Nebenrechten (Taschenbuchlizenz etc.) und 70 % bei buchfernen Nebenrechten (Hörspielbearbeitung etc.).

Zu den Punkten 1 und 3 hat die Verlegerseite bisher keine Vorschläge vorgelegt. Das Angebot der Verlegervereinigung zu Punkt 2 (1% Beteiligung für gebundene Ausgaben, anrechenbar auf das Grundhonorar, was allenfalls bei echten Bestsellern eine reale Honorarverbesserung bedeuten würde) entspricht formal lediglich jener Regelung, die auch das alte Urhebergesetz bereits vorsah (§ 36 altes Urhebergesetz). In jüngst abgeschlossenen Verfahren zu diesem so genannten Bestsellerparagraphen haben die Gerichte sogar bereits Sätze zwischen 1 % und 3 % veranschlagt.

 

VdÜ Pressestelle
Gabriele Gockel
Thomas Wollermann