Wir trauern um: Josef Winiger
Unser geschätzter, engagierter Kollege verstarb am 29.4.2025.

Foto: Ebba D. Drolshagen
Zur Trauerfeier für Josef Winiger, 17.5.2025, von Hinrich Schmidt-Henkel:
Wahrscheinlich werde ich nie wieder an eine Wildblumenwiese denken können, ohne an Josef zu denken, der hier eine Wildblumenwiese anlegen wollte. Wahrscheinlich werde ich nie wieder an Margeriten denken können, ohne an Josef zu denken, der hier auf dieser Wiese in seinen buchstäblich letzten Sekunden fürsorglich um Margeriten herum mähte. Etwas pflegen und gestalten, und dabei das Wilde wild sein lassen – ist das nicht bezeichnend für Josefs Wesen?
Ich darf hier für mich selbst sprechen, aber auch für die Zunft, die stolz darauf ist, dass Josef ihr mit Stolz angehört hat, also für die Literaturübersetzerinnen und Literaturübersetzer. Ein gutes Dutzend von uns ist hier angereist, um gemeinsam mit euch und Ihnen Josefs zu gedenken, darunter nicht weniger als drei frühere Vorsitzende des VdÜ, unseres Berufsverbandes. Die Anteilnahme an Josefs Tod aus unseren Kreisen ist überwältigend, etliche haben Beiträge geliefert, die ich für heute zu einem polyphonen Text zusammenzuführen versprach. Dabei bin ich aber fast völlig gescheitert, zu schön und zu persönlich, zum Teil auch zu ausführlich waren diese Beiträge, als dass ich da mit einer redaktionellen Sense hätte durchgehen können. Darum habe ich der Familie Ausdrucke der vollständigen Texte mitgebracht – beinahe ein Dutzend Seiten sind das …
Ganz persönlich habe ich Josef für neun gemeinsame Jahre im Vorstand unseres Verbandes zu danken, dem er als Schatzmeister und ich als Vorsitzender gedient haben. Er war mit seiner ganzen Präzision und Zuverlässigkeit, mit allem, was ihn persönlich auszeichnete zwischen Schalk und Ernst, ein unverwechselbares Mitglied dieses Gremiums, dem er sich in einem Moment angeschlossen hatte, als unser Verband sich in einer Zerreißprobe befand. Gemeinsam mit ihm gelang es uns, den Verband wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, erfolgreiche Verhandlungen mit einigen Verlagen zu initiieren und zu Ende zu führen und unseren Verband schließlich nach innen und nach außen gestärkt weiterzugeben, gestärkt nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht.
Die Vorstandsarbeit war für Josef allerdings geradezu nur ein Nebenprodukt seiner vielfältigen Initiativen und Engagements für unser Metier und unsere Zunft. Ganze Bücher müsste man schreiben, um das angemessen darzustellen, schreibt eine Kollegin. Recht hat sie. So vielfältig waren seine Beiträge zum Gedeihen unseres Metiers lange vor und nach und abseits der Vorstandsarbeit, dass der VdÜ ihm dafür mit seiner Ehrengabe gedankt hat, einer kleinen, aber feinen Auszeichnung, die Josef mit viel Freude entgegennahm.

Foto: privat
Erinnert und geradezu liebevoll gewürdigt wird Josef von den Übersetzerinnen und Übersetzern als Sprachkünstler, als Lehrer und Mentor und als findiger Kopf. Er hat als einer der ersten in unseren Kreisen Kompetenz im Programmieren und im Umgang mit Netz und Webseiten erworben – überhaupt war er in vielerlei Hinsicht im Handeln und Denken Jahrzehnte jünger, als seine Lebensdaten es nahe legen würden.
Als Lehrer und Mensch hat er ganze Generationen von Übersetzer.innen geprägt. In Straelen und Lenzburg hat er das Prinzip der zweisprachigen Übersetzerwerkstätten entwickelt und vervollkommnet, das heute als Vice-Versa-Programm für eine große Anzahl von Sprachenpaaren zu den begehrtesten Angeboten des Deutschen Übersetzerfonds gehört. Viele sagen, die wichtigsten Grundlagen ihrer Arbeit hätten sie bei ihm gelernt, Präzision und nicht zuletzt literarische Freiheit in der Gestaltung.
Josef hat viel über das Übersetzen nachgedacht und war ein bemerkenswerter Streiter mit klaren und notfalls scharfen Worten, ein Streiter für die Anerkennung unseres Berufsstandes. Dabei war er aber auch ganz pragmatisch und hat jahrelang das Übersetzerverzeichnis betreut, in erst schriftlicher, dann von ihm gestalteter elektronischer Form.
Die jetzt unvollendet gebliebenen Teile seiner Kulturgeschichte des Übersetzens, die nicht nur von unserem Verband, sondern auch vom Deutschen Übersetzerfonds ungeduldig erwartet wurde, lässt sich ja vielleicht aus Aufzeichnungen und Skizzen abschließen – das wäre eine besonders schöne, aktive Form des Gedenkens.
Was Josef alles für uns getan hat, als Kollege, als Ideengeber, als pragmatischer und verlässlicher Schatzmeister, als Diskussionspartner, das alles ohne viel Aufhebens - daran werden wir uns erinnern. Und uns erinnern an Milde, Wärme und Verschmitztheit, verbunden mit einer Arglosigkeit (keineswegs Naivität), wie sie zusammen mit einem so scharfen Verstand wohl selten auftritt. Als sie ihn kennen lernte, schreibt eine Kollegin, war er schon längst eine Legende und wirkte tatsächlich wie einer Heiligenlegende entschlüpft, in der ein (durch und durch säkularer) St. Josef nur Gutes bewirkt, alle um ihn herum froh stimmt und sie ein wenig, wenn nicht sogar sehr viel klüger macht. Ja, er hat vielen von uns Flügel verliehen.
Und jetzt ist er selbst davon geflogen. Wir winken Josef Winiger nach, voller Respekt und Dank und lebhaften Erinnerungen, und voller Zuneigung.

Foto: privat
(12.5.2025, aktualisiert am 26.5.2025)