Foto: Ebba D. Drolshagen

Viele Stimmen aus dem Verband haben ihre Erinnerungen an Josef niedergeschrieben, die weiter unten zu finden sind, nach der Rede, die Hinrich-Schmidt Henkel für die Trauerfeier am 17. Mai verfasste.

Zur Trauerfeier für Josef Winiger, 17.5.2025, von Hinrich Schmidt-Henkel:

Wahrscheinlich werde ich nie wieder an eine Wildblumenwiese denken können, ohne an Josef zu denken, der hier eine Wildblumenwiese anlegen wollte. Wahrscheinlich werde ich nie wieder an Margeriten denken können, ohne an Josef zu denken, der hier auf dieser Wiese in seinen buchstäblich letzten Sekunden fürsorglich um Margeriten herum mähte. Etwas pflegen und gestalten, und dabei das Wilde wild sein lassen – ist das nicht bezeichnend für Josefs Wesen?

Ich darf hier für mich selbst sprechen, aber auch für die Zunft, die stolz darauf ist, dass Josef ihr mit Stolz angehört hat, also für die Literaturübersetzerinnen und Literaturübersetzer. Ein gutes Dutzend von uns ist hier angereist, um gemeinsam mit euch und Ihnen Josefs zu gedenken, darunter nicht weniger als drei frühere Vorsitzende des VdÜ, unseres Berufsverbandes. Die Anteilnahme an Josefs Tod aus unseren Kreisen ist überwältigend, etliche haben Beiträge geliefert, die ich für heute zu einem polyphonen Text zusammenzuführen versprach. Dabei bin ich aber fast völlig gescheitert, zu schön und zu persönlich, zum Teil auch zu ausführlich waren diese Beiträge, als dass ich da mit einer redaktionellen Sense hätte durchgehen können. Darum habe ich der Familie Ausdrucke der vollständigen Texte mitgebracht – beinahe ein Dutzend Seiten sind das …

Ganz persönlich habe ich Josef für neun gemeinsame Jahre im Vorstand unseres Verbandes zu danken, dem er als Schatzmeister und ich als Vorsitzender gedient haben. Er war mit seiner ganzen Präzision und Zuverlässigkeit, mit allem, was ihn persönlich auszeichnete zwischen Schalk und Ernst, ein unverwechselbares Mitglied dieses Gremiums, dem er sich in einem Moment angeschlossen hatte, als unser Verband sich in einer Zerreißprobe befand. Gemeinsam mit ihm gelang es uns, den Verband wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, erfolgreiche Verhandlungen mit einigen Verlagen zu initiieren und zu Ende zu führen und unseren Verband schließlich nach innen und nach außen gestärkt weiterzugeben, gestärkt nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht.

Die Vorstandsarbeit war für Josef allerdings geradezu nur ein Nebenprodukt seiner vielfältigen Initiativen und Engagements für unser Metier und unsere Zunft. Ganze Bücher müsste man schreiben, um das angemessen darzustellen, schreibt eine Kollegin. Recht hat sie. So vielfältig waren seine Beiträge zum Gedeihen unseres Metiers lange vor und nach und abseits der Vorstandsarbeit, dass der VdÜ ihm dafür mit seiner Ehrengabe gedankt hat, einer kleinen, aber feinen Auszeichnung, die Josef mit viel Freude entgegennahm.

Erinnert und geradezu liebevoll gewürdigt wird Josef von den Übersetzerinnen und Übersetzern als Sprachkünstler, als Lehrer und Mentor und als findiger Kopf. Er hat als einer der ersten in unseren Kreisen Kompetenz im Programmieren und im Umgang mit Netz und Webseiten erworben – überhaupt war er in vielerlei Hinsicht im Handeln und Denken Jahrzehnte jünger, als seine Lebensdaten es nahe legen würden.

Als Lehrer und Mensch hat er ganze Generationen von Übersetzer.innen geprägt. In Straelen und Lenzburg hat er das Prinzip der zweisprachigen Übersetzerwerkstätten entwickelt und vervollkommnet, das heute als Vice-Versa-Programm für eine große Anzahl von Sprachenpaaren zu den begehrtesten Angeboten des Deutschen Übersetzerfonds gehört. Viele sagen, die wichtigsten Grundlagen ihrer Arbeit hätten sie bei ihm gelernt, Präzision und nicht zuletzt literarische Freiheit in der Gestaltung.

Josef hat viel über das Übersetzen nachgedacht und war ein bemerkenswerter Streiter mit klaren und notfalls scharfen Worten, ein Streiter für die Anerkennung unseres Berufsstandes. Dabei war er aber auch ganz pragmatisch und hat jahrelang das Übersetzerverzeichnis betreut, in erst schriftlicher, dann von ihm gestalteter elektronischer Form.

Die jetzt unvollendet gebliebenen Teile seiner Kulturgeschichte des Übersetzens, die nicht nur von unserem Verband, sondern auch vom Deutschen Übersetzerfonds ungeduldig erwartet wurde, lässt sich ja vielleicht aus Aufzeichnungen und Skizzen abschließen – das wäre eine besonders schöne, aktive Form des Gedenkens.

Was Josef alles für uns getan hat, als Kollege, als Ideengeber, als pragmatischer und verlässlicher Schatzmeister, als Diskussionspartner, das alles ohne viel Aufhebens - daran werden wir uns erinnern. Und uns erinnern an Milde, Wärme und Verschmitztheit, verbunden mit einer Arglosigkeit (keineswegs Naivität), wie sie zusammen mit einem so scharfen Verstand wohl selten auftritt. Als sie ihn kennen lernte, schreibt eine Kollegin, war er schon längst eine Legende und wirkte tatsächlich wie einer Heiligenlegende entschlüpft, in der ein (durch und durch säkularer) St. Josef nur Gutes bewirkt, alle um ihn herum froh stimmt und sie ein wenig, wenn nicht sogar sehr viel klüger macht. Ja, er hat vielen von uns Flügel verliehen.

Und jetzt ist er selbst davon geflogen. Wir winken Josef Winiger nach, voller Respekt und Dank und lebhaften Erinnerungen, und voller Zuneigung.

Foto: privat

Erinnerungen von Kolleg*innen (alphabetisch nach Namen)

Andreas Jandl:

Ein Ende finden

In Josefs deutschsprachiger Übersetzung von Laurent Mauvigniers Roman Apprendre à finir (deutsch: Ein Ende finden, Eichborn, 2004) wird das Wirken der zentralen Figur als „mit Saft und Kraft und unfehlbarem Augenmaß“ beschrieben. Auch wenn der Kontext, bien sûr, ein ganz anderer ist, zitiere ich Josefs Formulierung hier gerne, weil ich sie sowohl für seine Übersetzung als auch für ihn selbst für treffend halte.
Als Übersetzer sowie als Lehrer und Mensch hat er ganze Verbands-Generationen geprägt und tut dies weiterhin. Jedes Übersetzungsseminar lässt sich durch einen Blick auf Josefs „Methodische Betrachtungen“ bereichern.
Es ist sehr zu hoffen, dass die jahrzehntelang von Josef auf seiner privaten Webseite gesammelten und aufbereiteten Wissens-Schätze unserer Zunft weiterhin zur Verfügung stehen werden.
Denn er selbst ist nicht mehr da. Das war so nicht abgesprochen – und Josef war doch ein absolutes Vorbild für Verlässlichkeit. Wie auch für Milde, Wärme und Verschmitztheit. Hinsichtlich der Herausforderung, „ein Ende zu finden“, hat Josef einen Tod gehabt, den viele sich auch so wünschen dürften.
Seine Persönlichkeit werden wir vermissen, seine Raffinesse beim Übersetzen können wir nachlesen und seine Verdienste um Verbands-Chronik und Übersetzungs-Historie werden uns begleiten, ebenso wie sein Erfolgsschlager: das zweisprachige Seminarmodell, das er durch Zufall entdeckte und für uns alle „mit Saft und Kraft und unfehlbarem Augenmaß“ weiterentwickelte: die heutige Vice-versa-Werkstatt. (vgl. „Learning by doing par excellence“, von Andreas Jandl, über die Entstehung der zweisprachigen Werkstätten, heute „Vice-versa“, in: Souveräne Brückenbauer, Sprache im technischen Zeitalter, Sonderheft März 2014)

Burkhart Kroeber:

Es war Josef, der mich 1991 dazu gebracht hatte, für den Vorsitz des VdÜ zu kandidieren. Ohne sein beharrliches Drängen hätte ich mich nicht dazu entschlossen. Ich war erst seit wenigen Jahren Mitglied im VdÜ und hatte eigentlich keinen Bock auf „Vereinsmeierei“, wie ich das damals gern nannte, aber Josef schaffte es durch überzeugendes Argumentieren und geduldiges Insistieren, mich eines Besseren zu belehren. In seiner Chronik der VdÜ-Geschichte zum 60. Verbandsjubiläum (Sonderheft Sprache im technischen Zeitalter, März 2014, S. 32 unten) schreibt er lakonisch: „… im Frühjahr 1991 (…) gelang es, Burkhart Kroeber zur Kandidatur zu überreden.“ Er war es, dem das gelungen war, ich erinnere mich noch gut, wie ich nach längerem Zögern schließlich einsah, dass er recht hatte. Ohne ihn wäre ich der Verbandsarbeit fern geblieben und hätte folglich viele gute Erfahrungen versäumt. Danke im Nachhinein, lieber Josef!

Christian Hansen:

Josef, der Mann mit der Pfeife im zu großen Tweed Jackett, dieser doppelbegabte Schrift- und Digitalgelehrte, der mich gänzlich Ahnungslosen zum ersten Homepageklempner des VdÜ präpariert hat, der aus dem Ärmel geschüttelt und ein Pionier auf Steckenpferdrücken bis vor gar nicht langer Zeit die graue Eminenz des Verbands in diesen Dingen war, ohne den da oft nichts ging. Zwar: Ich habe ihn auch kämpferisch erlebt, zornig sogar; aber die Erinnerung an sein augenzwinkerndes Wesen, schalkhaft bis in die Pfeifenspitze, und an seine zugleich so bedächtig kluge Art, die dafür sorgten, dass ich mich in seiner Gegenwart wie an einem knisternden Kaminfeuer fühlte, sie war mir schon zu seinen Lebzeiten immer präsent, nun erst recht.

Claudia Kalscheuer:

Auch ich denke gern und bewegt an Josef zurück, ich verdanke ihm viel. Die Teilnahme an der Werkstatt in Straelen hat mir so viel Freiheit vermittelt, die ich vorher beim Übersetzen nicht hatte, und das Bewusstsein geschenkt, dass wir alle, auch die Erfahrensten, voller Fragen sind und nur mit Wasser kochen. Seine Wertschätzung und sein Vertrauen haben es mir – zusammen mit Barbara Fontaine, im Wechsel mit Brigitte Große und Juliette Aubert – erlaubt, die deutsch-französische Werkstatt weiterzuführen. Während meiner vier Vice-Versa-Wochen zwischen 2013 und 2020 musste ich oft an ihn denken. Seine kluge, freundliche, freilassende Art, die gemeinsame Textarbeit zu moderieren, hat mich beeindruckt und geprägt. Die Werkstattgespräche mit ihm und nach ihm waren großartige Erfahrungen und Höhepunkte meines Berufslebens. Zuletzt hatte ich 2020 mit Josef Kontakt, als ich ein Buch von Laurent Mauvignier angeboten bekommen habe, den er früher übersetzt hat. Wie stets war seine Antwort zugewandt, großzügig und ermutigend. Er wird mir unvergessen bleiben.

Cornelia Hasting:

In der Trauer um unseren Freund und Mentor Josef Winiger beginnen die Erinnerungen zu leuchten. Mit seiner heiteren Zugewandtheit und seiner Begeisterung für das Übersetzen hat er uns in Straelen zu einer Gemeinschaft gemacht, die unvergesslich bleibt. Jeder unserer Beiträge in seiner Übersetzerwerkstatt wurde bis ins kleinste Wort überdacht und gewürdigt, immer in der unerschütterlichen Überzeugung, daß der Transfer von einer Sprache in die andere gelingen kann, daß der Wert des originalen Textes erhalten bleibt, wenn an manchen Stellen verloren Gegangenes an anderen wieder ausgeglichen wird. Und die Freude über schöne Lösungen hat ihn und uns alle beflügelt. Wie viel mutiger und animierter hat man sich nach dem Gedankenaustausch in Straelen wieder an den Schreibtisch gesetzt! Dieser Geist der Menschlichkeit, der die babylonische Sprachverwirrung überwindet, wird uns weiter begleiten. Josef hat ihn vermittelt und gelebt.

DEUTSCHER ÜBERSETZERFONDS:

Mit Bestürzung haben wir gestern von Josef Winigers plötzlichem Tod erfahren.
Mit Josef verlieren wir vom DÜF einen großen Übersetzer französischsprachiger Literatur und einen ebenso freundlichen wie verlässlichen Wegbegleiter. Josef gehörte nach unserer Gründung zu den ersten Stipendiaten. Damals förderten wir seine Übersetzung des Romans „Der Porzellanladen“ von Jean Rouaud. Als Rouaud sechs Jahre später eine Dankes-Laudatio auf seinen Übersetzer hielt, endete der Autor nicht von ungefähr, an die Adresse der Jury gerichtet: „Es freut mich, dass Sie, indem Sie Abend Josef Winiger mit diesem Preis ehren, mir recht geben, ihm vertraut zu haben. Wer weiß, vielleicht ist seine Übersetzung sogar besser als das Original?“
Mit seinem Wissen um die Möglichkeiten der Sprache und mit seinen profunden Kenntnissen über die Geschichte des Übersetzens war Josef uns stets Rat- und Ideengeber. Er war Mentor und Ermutiger, er initiierte und begleitete zahlreiche Übersetzergespräche und Werkstätten. Eine Textwerkstatt mit deutschen und französischen Kolleg.innen, die er schon in den 1980er Jahren ins EÜK nach Straelen einberief, bildete die Initialzündung für unser bis heute fortbestehendes ViceVersa-Programm. Seine eigenen Reflexionen zum Übersetzen einzelner Projekte, die er jeweils unter dem Titel „Aus meinen Kladden“ zusammenstellte, können von heute aus gesehen als Vorläufer unserer „Toledo-Journale“ gelesen werden. Kein Zweifel: Il cultivait ses jardins de la traduction, und das mit hoher Kunst.
Doch er tat mehr. Viel mehr. „Liebe Marie“, schrieb er einmal, „Du wirst es nicht glauben, aber im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek ergibt die Suche nach ‚Kulturgeschichte‘ aktuell 18 721 Treffer, die nach ‚Kulturgeschichte Literaturübersetzung‘ keinen einzigen Treffer, dafür gibt es aber einen Eintrag zur ‚Kulturgeschichte der Reizwäsche in Bildern‘.“ – Aufgrund dieses „bizarren Mankos“ begann er Anfang der 2000er Jahre seine Recherchen für eine großangelegte Kulturgeschichte des Literaturübersetzens, die mit dem Kapitel „Tausend Jahre vor Babel“ beginnen … und mit einem Porträt von Luthers Übersetzungswerkstatt enden sollte.
Wir als DÜF waren stolz, Anteil an der Entstehung dieses Mammutwerks nehmen zu dürfen. Erste öffentliche Einblicke gab er 2015 mit einem Vortrag auf unserem Luther gewidmeten Übersetzertag sowie 2017 auf unserem „Zaitenklänge“-Symposium. Damals rekonstruierte er mit großem Gewinn das Gespräch zwischen Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing, den beiden Großmeistern der Übersetzungskunst.
Josef folgte stets eigenen Pfaden und steckte unserem Nachdenken übers Übersetzen dabei immer neue Lichter auf. Wir verdanken ihm vieles. Er wird uns mit seinem stillen Enthusiasmus sehr fehlen. 

Berlin, den 10. Mai 2025

Für den Vorstand des Deutschen Übersetzerfonds
Marie Luise Knott

Ebba D. Drolshagen:

1986 oder 1987 fuhr ich zum ersten Mal nach Bergneustadt, dem damaligen Wolfenbüttel. Am Bahnhof in Köln standen die Busse, die uns dorthin bringen sollten, die Wartenden hatten sich ein Jahr lang nicht gesehen und lagen sich mit lauten Freudenrufen in den Armen. Ich kannte niemanden und sah ein düsteres, einsames Wochenende vor mir.
Im Bus saß ich dann neben einem Fremden mit Pfeife. Als ich ihm meine Befürchtungen gestand, meinte er gut gelaunt, etwas Derartiges sei nicht zu erwarten. Er hatte recht, was auch an ihm lag: Josef Winiger nahm mich unter seine Fittiche und kümmerte sich das ganze Wochenende über dezent um mich. Meine allererste VdÜ-Bekanntschaft wurde ein Freund fürs Leben.
Ich habe ihn nie anders als zugewandt und freundlich erlebt, großzügig, warmherzig, interessiert, engagiert, bescheiden – und leidenschaftlich. Seine leisen, aber beharrlich gelebten Leidenschaften galten dem Übersetzen, der Philosophie im Allgemeinen und Ludwig Feuerbach im Besonderen, der Freude an Wissensvermittlung und einer Kollegialität, deren viele Facetten andere würdigen werden. Sie galten dem alten Haus, das er eigenhändig renoviert hatte, gutem Handwerk und der Musik von Mozart. Über all das sprach er begeistert – zu leuchten begann er, wenn er von seiner Familie erzählte, von seinen Söhnen und von Maria.

Hans-Ulrich Möhring:

Josef, alter Freund.
„Gramgesichte härmen um das Haus.“
Aber auf den verschlungenen Wegen
zwischen Toledo und Ch‘angan
im Gebirge der Ewigkeit
nehmen wir unser Gespräch wieder auf
und begegnen uns neu.

Heike Reissig:

Im April 2015 habe ich Josef beim Seminar für literarisches Übersetzen im Aargauer Literaturhaus in Lenzburg, Schweiz als Seminarleiter kennengelernt. Er gab dort den Workshop für Französisch–Deutsch; wir arbeiteten mit Textausschnitten aus „Rue des voleurs“ von Mathias Enard und „À la recherche du temps perdu“ von Marcel Proust. Er hat das Seminar ganz wunderbar und sehr humorvoll geleitet, ich habe viel von ihm lernen können und fand die gemeinsame Arbeit mit ihm überaus inspirierend. Seine große Freundlichkeit wird mir immer in Erinnerung bleiben, ebenso wie sein jahrzehntelanges unermüdliches Engagement für den VdÜ. Ruhe in Frieden und auf Blumen gebettet, lieber Josef.

Helga Pfetsch:

Dass Josef neben vielen anderen Talenten auch ein begnadeter Chronist war, wurde mir erst anlässlich des 60. VdÜ-Jubiläums im Jahr 2014 klar. Der Vorstand hatte sich ausgedacht, zu diesem Anlass erstmals die Geschichte des Übersetzerbandes zu dokumentieren. Keine Beweihräucherung, keine Jubelschrift sollte es werden, sondern eine Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung, die zeigen sollte, wie sich ein Berufsstand professionalisiert hatte. Ob Josef im damaligen Vorstand der Ideengeber für diesen Plan war, weiß ich nicht, aber er war es, der das Projekt in die Wege leitete. Er begleitete mich als Herausgeberin bei der Entwicklung des Konzepts und dessen Umsetzung bis hin zur Beschaffung und Auswahl der Bilder. Vor allem aber verfasste er das Herzstück des Buches: die Chronik des Übersetzerverbandes von den Anfängen bis ins Jubiläumsjahr 2014 und die Porträts von dreien seiner Pioniere: dem VdÜ-Gründer und erstem Präsidenten Rolf Italiaander, dem „Manager des Aufbruchs“ Helmut M. Braem und dem Gründungsmitglied Susanna Brenner-Rademacher.
Als „berufsständischen Verband mit Strahlkraft“ sah er den VdÜ, den er auf 45 Buchseiten Konzise, klar und vorstellbar zum Leben erweckte. Und das auf der Basis von schlecht dokumentierten Unterlagen: Für das „trockene“ Geschäft des Archivierens war im Verband ehrenamtliche Zeit wohl immer zu kostbar gewesen. Struktur geben dieser Chronik schon die zielsicher gesetzten trefflichen Zwischenüberschriften, die bei uns, die wir einen Teil der Geschichte selbst miterlebt haben, Geschehenes und Erlebtes blitzlichtartig wieder vor Augen führen: Was bewegt zur Gründung? – Die Ära der übersetzenden Schriftsteller – Verjüngung – Gewerkschaft – …der sinnt auf Kampfmaßnahmen – Regiewechsel – Suche nach neuen Wegen – „Wir sind wer – wir tun was“ – Verhandeln in Augenhöhe Erster Akt – Glaubenskrieg – Verhandeln in Augenhöhe Zweiter Akt – Karlsruhe spricht – Verhandeln in Augenhöhe Dritter Akt.
Besonders eindrucksvoll ist für mich dann auch der Rollenwechsel, mit dem Josef in einem halbseitigen letzten Kapitel Nachtrag in Ich-Form vom Chronisten zum Betroffenen der jüngeren Geschehnisse überwechselt, um dann mit zukunftsorientierter, versöhnlicher Zuversicht zu enden.
Dass Josef schon geraume Zeit an einer groß angelegten Geschichte des Literaturübersetzens seit der Antike arbeitete, mit der er dieses Jahr bis zum 19. Jahrhundert kommen wollte, haben wir mit Freude, Bewunderung und großem Interesse gehört. Wir wünschen uns sehr, Einblick in dieses in der Entstehung begriffene Werk zu bekommen, wünschen uns, dass es eine Möglichkeit der Veröffentlichung geben möge, als einem aktuellen und bleibenden Zeugnis eines Lebensthemas von Josef.

Josef Winiger: „Der VdÜ - ein berufsständischer Verband mit Strahlkraft über das Berufsständische hinaus“, in: Souveräne Brückenbauer – 60 Jahre Verband der Literaturübersetzer (VdÜ)
Im Auftrag des Verbands deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V./Bundessparte Übersetzer des VS in ver.di herausgegeben von Helga Pfetsch

Holger Fock:

Unter allen Übersetzerkolleginnen und -kollegen war Josef sicher derjenige, der mich in meiner eigenen Laufbahn als Literaturübersetzer und im Engagement für unsere Zunft und unseren Verband am meisten geprägt hat. Kennengelernt habe ich ihn 1990 kurz nach meinem Beitritt zum VdÜ, als ich zum ersten Mal an einem „Esslinger Gespräch“ in Bergneustadt teilnahm. In der Französischwerkstatt beeindruckte er mich mit seinem profunden Wissen und seinem großen Respekt anderen Meinungen und Lösungsvorschlägen gegenüber. Im Jahr darauf konnte ich dann während meines ersten Aufenthalts im Straelener Übersetzer-Kollegium an der zweiten deutsch-französischen Übersetzerwerkstatt teilnehmen, die Josef rund um den zweiten Todestag von Elmar Tophoven, des Gründers des Kollegiums, organisiert hatte. Und ich erinnere mich bis heute, wie wir uns alle zusammen auf dem Straelener Friedhof am bescheidenen kleinen Grabstein Tophovens versammelten und Josef ein berührende kleine Gedenkrede hielt.
Bald wurde zu den Werkstätten im Straelener Frühling auch die französischen Übersetzerinnen und Übersetzer deutschsprachiger Literatur eingeladen und so das Konzept der zweisprachigen ViceVersa-Werkstätten begründet, das sich heute dank der Weiterentwicklung durch den DÜF höchster Beliebtheit in vielen Sprachenpaaren erfreut. Copyright: Josef Winiger. Seither hat Josef zahllose Übersetzerwerkstätten geleitet und die Teilnehmer nicht nur durch seine Kompetenz, sondern auch mit seiner herzlichen, zugewandten Art begeistert. Das letzte Mal als Leiter einer Französisch-Werkstatt erlebte ich ihn 2018 im Aargauer Literaturhaus in Lenzburg, und wie wohl die meisten Teilnehmenden ging ich nach den vier Tagen beglückt und bereichert nach Hause.
Josef als Leiter oder Teilnehmer von Übersetzer-Werkstätten zu erleben war für mich mit einem enormen Zuwachs an Wissen über die französische Sprache wie über die Kunst des Literaturübersetzens verbunden. Mit einem gesunden Erstzweifel und produktiver Skepsis konnte Josef Probleme, ob auf semantischen Feldern oder in syntaktischen Gebirgen, von allen nur erdenklichen Seiten beleuchten und zu vielfältigen Lösungsmöglichkeiten gelangen. Dabei imponierte mir besonders eine „stilistische“ Maxime von ihm: Die deutsche Übersetzung sollte nicht länger sein als das französische Original.
Er selbst erfüllte dieses Ideal selbst bei seinen schwierigsten Autoren wie Jean Rouaud oder Laurent Mauvignier, und beim Lesen seiner Übersetzungen hat man das Gefühl, er habe es spielend leicht erreicht. Dahinter steckte natürlich „harte“ Arbeit, aber in allen Werkstattgesprächen, die ich mit Josef erlebt habe, merkte man sofort, dass die harte Arbeit für ihn das größte Vergnügen war. Josef war ein Meister des Abwägens und des Verhandelns mit sich selbst, wie es Umberto Eco in seinem Essay „Quasi dasselbe mit anderen Worten“ als konstitutiv für den Prozess des Literaturübersetzens beschrieben hat. Das kann man sehr gut nachvollziehen, wenn man auf Josefs Homepage die Berichte aus seiner eigenen Übersetzerpraxis liest.
Wie viel ich als Literaturübersetzer Josef zu verdanken habe, zeigt sich auch beim Prix lémanique de la traduction. Er selbst war 2006 in Lausanne hochverdient mit diesem großartigen Preise ausgezeichnet worden, zu dessen ersten Preisträgern 1985 und 1988 Eugen Helmlé und Elmar Tophoven zählten. In dieser „Ahnenreihe“ zu stehen, bedeutete ihm unglaublich viel. 2015 war er selbst Mitglied der Jury, und als ihre Wahl auf meine Wenigkeit fiel, fühlte ich mich vor allem durch Josef in einer Weise geehrt, die zu den wichtigsten Ereignissen meines Übersetzerlebens zählt.
Seine Homepage hat sich Josef vor vielen Jahren selbst eingerichtet, denn neben dem Übersetzen hat er sich schon früh mit Computerprogrammen beschäftigt, sich das Programmieren beigebracht und sich damit ein finanziell einträglicheres Standbein verschafft. Profitiert haben davon auch viele Kolleginnen und Kollegen: Schon in den frühen 90er Jahren konnte man sich bei ihm über unterschiedliche Schreibprogramme wie Wordstar, WordPerfect, Word etc. informieren, sich Rat holen, wenn man am heimischen PC wieder einmal am Verzweifeln war. Später gelang ihm mit der ersten Digitalisierung des von ihm und Regine Elsässer betreuten Übersetzerverzeichnisses eine Großtat.
Mir persönlich half er bei meinen ersten Versuchen mit Excel Tabellen und Grafiken für den CEATL und den VdÜ auf die Sprünge. Eine Zeitlang, Mitte der Nullerjahre, war mir die Blonhofener Telefonnummer 12 12 vertrauter als jede andere Rufnummer. Sein gutes Verhältnis zu Zahlen bewies Josef über viele Jahre hinweg als Schatzmeister des VdÜ. Ich kenne kaum andere aus unserer Zunft, die sich so kontinuierlich, ausdauernd und vor allem so lange ehrenamtlich für den Verband eingesetzt haben.
Keineswegs nur eine Nebentätigkeit war für Josef die Autorenschaft. Anknüpfend an seine Dissertation über Ludwig Feuerbach bei dem Münchner Universalgelehrten Ernesto Grassi schrieb er ein Jahrzehnt lang an der Biografie des großen Philosophen und Religionskritikers, die pünktlich zu dessen 200. Geburtstag 2004 erschien. Josef zuzuhören, wenn er von der Arbeit an Feuerbach erzählte, war ein großer Genuss. Dasselbe galt, wenn er von dem Mammutprojekt berichtete, das er danach in Angriff nahm: eine Geschichte des Literaturübersetzens von frühester Zeit über die Antike und das Mittelalter bis in die heutige Moderne, das nun leider unvollendet bleiben wird.
Man kann sich gut vorstellen, welch unglaublichen Recherchen er für dieses Projekt vornehmen musste. Allein das Durchackern der vierbändigen französischen Histoire des traductions en langue française (die den Zeitraum vom 15. Jahrhundert bis heute umfasst, jeder Band mit mindestens 1.300 Seiten) gleicht einem Paddeln durch alle Weltmeere des Wissens. Bei unserem letzten Telefonat, das wir vor dem Wolfenbütteler Gespräch 2024 führten, plante er, in diesem Jahr das 18./19. Jahrhundert hinter sich zu lassen. Mit vielen Kolleginnen und Kollegen hoffe ich, dass sich eine Möglichkeit finden wird, seine bisherige Arbeit zu diesem Projekt in Buchform herauszubringen.
Nicht zu vergessen: Josefs frühe Mitarbeit als Autor der Wikipedia-Enzyklopädie im Internet. Besondere Aufmerksamkeit erreichte er mit seinem Artikel über Ludwig Feuerbach, für den er 2007 von Wikimedia Deutschland mit der Johann-Heinrich-Zedler-Medaille in der Kategorie Geisteswissenschaften geehrt wurde.
Neben den vielen herausregenden intellektuellen Fähigkeiten, zeichnete sich Josef auch durch eine enorme handwerkliche Begabung aus. Es war ihm immer eine besondere Freude, wenn er von dem Allgäuer Bauernhaus erzählen konnte, das er mit seiner Familie bewohnte. Die Freude lag vor allem darin, dass er es größtenteils mit eigenen Händen restauriert und aus einem baufälligen Zustand in ein Kleinod der Allgäuer Bauernarchitektur verwandelt hat, so mustergültig, dass ihm dafür sogar ein bayrischer Denkmalpreis verliehen wurde.
So hat Josef im Lauf seines erfahrungsreichen Lebens Würdigungen in drei ganz unterschiedlichen Bereichen erfahren: als Literaturübersetzer, Wissenschaftsautor und Bauernhausrestaurator. In allen drei Bereichen wird er vielen, vielen Menschen unvergessen bleiben.

Irène Kuhn:

Ich war selbst (seit 1970) Übersetzerin und habe an der Uni Straßburg gelehrt, wo ich 1996 gemeinsam mit Sibylle Muller ein Seminar zum Thema „Literatur Übersetzen“ ins Leben gerufen. Josef, dem ich schon viel früher begegnet war, habe ich mehrfach eingeladen, einmal auch zu einem mehrtägigen deutsch-französischen Seminar in Cluny. Dort haben sich die dankbaren Studenten aus Düsseldorf und Straßburg mit einer Flasche Burgunder-Wein bedankt, und die Verpackung habe ich vor wenigen Tagen wiedergefunden. Darauf hatten sie ein gemeinsam verfasstes Gedicht geschrieben, das folgendermaßen lautet:

„Schwätzinger,
Winiger,
Pierre, Bernard, Yla,
Irène, Sibylle und Claudia,
Hans-Magnus:
Sie alle sind vom Fach,
und niemand fiel vom Dach.
Auch wenn sie beim Traduieren
immer was verlieren,
hat‘s uns nie gereut,
sondern hoch erfreut.
Merci pour tout!
On vous l‘avoue,
votre projet était
vraiment fou!“

Ich muss Ihnen nicht erläutern, wer – außer Josef – die Gäste waren. Dazu nur so viel: Heinz Schwarzinger, Bernard Lortholary, Yla von Dach, Hans-Magnus Enzensberger. Vor allem der Anwesenheit des berühmten Hans-Magnus und der damals durchaus bekannten Übersetzer Lortholary und Winiger hatten wir dann zu verdanken, dass die Uni das Seminar anerkannte, aus dem bald danach ein Master-Studiengang wurde.

Karen Nölle (Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e. V.):

Wolfenbüttel, schönstes Juniwetter, bunte Blumen in den Kästen am Fluss, das Grün der Bäume frisch. »Ja« freut sich Josef mit mir. »Noch. Schön diese kurze Frist, bald ist wieder alles angenagt und angefressen.«
Leicht und schwer, Licht und Dunkel gingen bei ihm zusammen, wie natürlich, als bilde es ein Ganzes und sporne ihn gleichzeitig an. Als erwachse aus dem Aushalten von Gegensätzen seine Kraft. Das Übersetzen nahm er an als »unmöglichen Beruf«, als »Gerangel« zwischen den Sprachen mit dem Ziel, Sätze zu schaffen, die »genauso gut lesbar [waren] wie der Originalsatz – im Zweifelsfall eher besser …«
Wie natürlich auch sein Einsatz für uns, die Kollegenschaft, gegen die geringe Wertschätzung und armselige Bezahlung, für die Qualität unserer Arbeit durch Seminare und Schriften. Unermüdlich. Wir Freundeskreislerinnen verdanken ihm neben anderem Rat und Tat unsere Wikipediaseite. Ein Anruf, eine Mail genügte, und die Seite wurde aktualisiert. Lieber ein Anruf, denn dann folgte auf das Sachliche immer noch ein Gespräch, in dem sich wie natürlich alles verflocht, Trauriges und Schönes, das Schwere und das Leichte.
Du fehlst uns, Josef, danke für alles.

Karin Krieger:

Für Josef

Wir haben ein Buch zusammen übersetzt.
Wir kannten gegenseitig die Geschichten unserer Kinder.
Wir haben in den Seminaren in Lenzburg viele Jahre lang engagiert zusammengearbeitet. Dabei hat mich stets die Neidlosigkeit tief beeindruckt, mit der Josef die Erfolge anderer Übersetzer und Übersetzerinnen feiern konnte.
Viel ließe sich erzählen …

Im Jahr 2000 brach nach einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung über mich als Literaturübersetzerin im Übersetzerforum etwas los, was man heute als Shitstorm bezeichnen würde.
Wenige, mir unbekannte, Zungen gaben plötzlich lautstark den Ton an. Und da kam mit leiser, aber deutlich hörbarer Stimme Josef:
Er schrieb mitten in diese ungeahnten Hasstiraden hinein:
„Daß soviel Liebe zum Handwerk manchen Leuten etwas verschroben vorkommt, wußte ich, doch daß sie solche Häme verdient […] war mir unbekannt. –  Doch.  Karin Krieger ist so, ich kenne sie gut genug. Und ich bin auch so. – Etwas emotional, Josef.“
Und so habe ich auch in diesem Moment, während des kräftezehrenden Piper-Prozesses zum Erhalt unserer Urheberrechte, doch nicht alles hingeschmissen.
Der für mich schönste Satz in der Literaturgeschichte stammt von Franz Kafka: „Wir hätten zusammenhalten können.“ Josef hat diesen Satz in die Realität geholt. Er hat uns geholfen, zusammenzuhalten. Was gibt es Schöneres.

Liebe Maria, ich wünsche Dir und der ganzen Familie viel Kraft.
Du, ihr, wir – sind am 29. April so viel ärmer geworden.

Berlin, den 17. Mai 2025

Luis Ruby:

Was mir von der gemeinsamen Zeit im Vorstand geblieben ist, klingt heiter nach. Möglicherweise wird Josef in jungen Jahren nicht ganz so milde gewesen sein, wie ich ihn kennengelernt habe – bei seinem Feuer für die Sache(n), die ihn interessierte(n). Unversöhnlich kann ich ihn mir zu keiner Lebenszeit vorstellen.
Josef strahlte ein ruhiges, warmes Wohlwollen aus, das einem blieb und bleibt. Und ich verbinde mit ihm den Eindruck einer Arglosigkeit (keineswegs Naivität), wie sie zusammen mit einem scharfen Verstand wohl selten auftritt.
Was er alles für uns getan hat, als Kollege, als Ideengeber, als pragmatischer und verlässlicher Schatzmeister, als Diskussionspartner, das alles ohne viel Aufhebens – daran werden wir uns erinnern, und es steht schon in vielen Beiträgen. Aber ich möchte die zweisprachigen Werkstätten herausstreichen, ein Konzept, das maßgeblich auf ihn zurückgeht. Das war dann für mich wie für viele andere ein großes Geschenk, ein besonderer Raum des Lernens und der kulturverbindenden Begegnungen. Heute heißt das Programm ViceVersa: Ich hoffe, Josef hat in alldem auch eine Gegenseitigkeit gespürt.

Ins Licht, Josef, weiterhin.

Martina Kempter:

Ach, lieber Josef, welch ein Verlust, dass Du uns verlassen hast! Und was für ein Glück, Dich gekannt zu haben! Ich bin dankbar, dass ich mit Dir im Vorstand des VdÜ zusammenarbeiten durfte (von 2009 bis 2013). Du warst ein prächtiger Schatzmeister, denn mit Deiner Ausdauer, Deiner Geduld und Deinem Fleiß brachtest Du selber den größten Schatz in dieses Ehrenamt ein. Immer warst Du strukturiert und wohltemperiert, beharrlich bis zur Störrischkeit, dabei sanftmütig zu den Mitstreitern, heiter, fein und liebenswürdig die gemeinsame berufspolitische Sache voranbringend. Dazu ein geschickter Handwerker und unermüdlicher Tüftler, schönste Übersetzertugenden, die sich ganz handfest auch beim Ausbau Eures herrlichen und gastlichen Bauernhauses im Allgäu bewährt hatten. Stupend Dein Wissen, mit dem Du nie Bildungshuberei betrieben hast, das Du als offener und wacher Gesprächspartner aber bereitwillig und freudig mitteiltest, wann immer man Dich um Rat fragte und Dir zuhörte. Gut zuhören konntest aber vor allem Du, trotz der Schwerhörigkeit und heikler Hörgeräte, und konntest Dir auch auf komplizierte Dinge selbst in Prosa einen Reim machen.
Seit Gründung der Weltlesebühne im Jahr 2009 gehörtest Du erfreulicherweise auch diesem Verein an, weil Du ihn fördern und unterstützen wolltest und ihn von Anfang an wohlwollend begleitet hast. Am Hieronymustag 2020 warst Du endlich einmal selber auf der Weltlesebühne zu Gast. Gabi Leupold hatte Dich zu einem Vortrag in die Marienkirche im brandenburgischen Beeskow eingeladen, die Sakristei dort ziert ein schönes mittelalterliches Wandbild des Heiligen Hieronymus. Du beschenktest das interessierte Publikum mit so klugen wie kurzweiligen Ausführungen zu drei großen Bibelübersetzern, dem namenlosen Übersetzer der Septuaginta, zu Hieronymus und schließlich Luther. Ich durfte das anschließende Gespräch mit den Besuchern der Veranstaltung moderieren. Wir befanden uns damals mitten in der Coronazeit, und im Vorfeld der Veranstaltung hattest Du an Gabi und mich in einer Mail geschrieben: „in diesen Zeiten ist es ja keine Floskel, wenn man das schreibt: Meiner Frau und mir geht es bestens, mit unserem ländlichen Wohnsitz sind wir außerdem privilegiert, wir können nach Lust und Laune im (großen) Garten sein und in der (sehr schönen) Landschaft herumradeln.“ Was sich hier zeigt, lieber Josef: Auch in schwieriger Zeit hattest Du eine besondere Begabung, das Lebensglück beim Schopf zu packen und alle, die mit Dir in Kontakt standen, in schönster Weise damit anzustecken. Danke für alles Positive und Herzerwärmende, was Du uns über die Jahre vorgelebt und vermittelt hast!

Olga Radetzkaja:

Diejenigen, die in unserem Verband in Gremien oder an einzelnen Projekten mit ihm zusammengearbeitet haben, können viele Lieder von Josefs außergewöhnlichen Eigenschaften singen. Seine Wärme war auch für diejenigen spürbar, die nur professionell mit ihm zu tun hatten, denn dieses „nur“ bedeutete eben bei ihm keine Einschränkung, er war immer mit Herz und Feuer dabei, selbst wenn es in die administrativen Ebenen ging. Und dazu: ein geistreicher Kopf, scharfsinniger und sanfter Denker, Gelehrter und Praktiker, „Erfinder“ der zweisprachigen Werkstätten und Verfasser einer weit ausholenden Geschichte unseres Berufs, die ihn mit so ansteckender, kribbelnder Freude erfüllte … Es tut weh, dass er nicht mehr leibhaftig da ist – aber was für ein Geschenk, dass wir ihn in unserem Kreis hatten!

Patricia Klobusiczky:

Ich bin traurig, weil der Planet um einen wunderbaren Menschen ärmer ist.
Was für ein Segen, ihm begegnet zu sein – ich kannte ihn immer nur liebenswürdig, hilfsbereit, klug und kundig.
Über Josef, den Einzigartigen, könnte – müsste – man ganze Bücher schreiben, um ihm gerecht zu werden, seiner Bildung und Herzensbildung, seiner Güte und Großzügigkeit, seinem verschmitzten Witz, seiner weise-heiteren Ausstrahlung und seinen wissenschaftlichen, künstlerischen und kollegialen Herkulestaten. Als ich ihn kennenlernte, war er schon längst eine Legende und wirkte auf mich tatsächlich wie einer Heiligenlegende entschlüpft, keiner tragischen voller Marter und Seelenqualen, sondern einer fröhlichen, in der ein (durch und durch säkularer) Sankt Josef nur Gutes bewirkt und alle um ihn herum froh stimmt und ein wenig, wenn nicht sogar sehr viel klüger macht. Er gehörte zu jenen, die unsere Welt besser machen, und ich bin überzeugt, dass er auf die eine oder andere Weise weiterhin so hell in unserer Mitte wirken wird, allein durch die Inspiration, die wir ihm verdanken und die lebendig bleibt.

Regine Elsässer:

Ich habe zusammen mit Josef drei Ausgaben (1999–2004) des gedruckten Übersetzerverzeichnisses erstellt und vertrieben. Er war schon damals ganz vorne in der Datenverarbeitung, und es war immer eine sehr angenehme Zusammenarbeit. Ich habe viel von ihm gelernt. Das Verzeichnis stellt nach wie vor ein wertvolles Dokument der Geschichte unseres Verbands dar.

Josefs Tod macht mich traurig, er war ein so freundlicher, bescheidener und dabei kompetenter Mensch und Kollege.

Thomas Brovot:

Ach je, eine sehr traurige Nachricht, ein so feiner Mensch, so hilfsbereit, auf ihn konnten wir uns immer verlassen, ich denke ich da auch an längst vergangene stürmische Zeiten, in denen Josef einfach immer da war und uns ein Beispiel gegeben hat mit seinem Blick ohne Arg auf die Welt, und die Welt hat ohne Arg zurückgeschaut. Die Blumenwiese ist ein schönes Bild, als hätte auch das dazugehört. Ich denke mit großer Dankbarkeit an Josef.

Ulla Ewald:

Josef Winiger war für mich als Seiteneinsteigerin, der lateinischen und griechischen Sprache unkundig , eine bedeutende Hilfe. Ich hatte mich der amerikanischen romantischen Literatur zugewandt und mich an die Übersetzung der „Wild Apples „von Henry David Thoreau herangewagt. Der Apfelbaum wurde von den Hebräern, Griechen, Römern und Skandinaviern gefeiert und natürlich von Thoreau mehrfach zitiert. Meine große Hilfe bei entsprechenden Übersetzungen von Ulysses, Theophrastus, Garius Plinius, Palladius u. a. erhielt ich nach meinem wohl etwas verzweifeltem Anruf von Josef Winiger, was Latein und Griechisch
betraf, bei Altgriechisch hielt er sich bescheiden zurück …
Eine recht ordentliche, schöne Zusammenfassung fanden wir wohl bei über Niebuhr: „Niebuhr bemerkt, dass die Wörter für ein Haus, ein Feld, einen Pflug, das Pflügen, Wein, Öl, Milch, Schaf, Äpfel und andere aus der Landwirtschaft stammende Wörter, einschließlich des angenehmen Lebensstils, mit Latein und Griechisch übereinstimmen, während alle lateinischen Wörter, Objekte, Krieg oder die Jagd betreffend, dem Griechischen völlig fremd sind.“ Somit kann der Apfelbaum – ebenso der Olivenbaum, als Symbol des Friedens angesehen werden. (Wilde Äpfel, Henry David Thoreau, Engelsdorfer Verlag, 2021) –

So ruhe in Frieden, lieber Josef Winiger, vielleicht in der Nähe eines Apfelbaums …

Ein kurzes Gespräch per Mail von drei KollegInnen (im Original französisch, Eveline Passet hat übersetzt):

Anne-Marie Geyer:

La mort de Josef me touche beaucoup, voici que surgissent les souvenirs de nos rencontres et de nos échanges, à Straelen précisément, sous la bienveillante houlette de Josef, notre grand et fidèle modérateur plein d’empathie et de douceur, ouvert à nos questionnements, soucieux du détail formulé par chacun(e) de nous. Pour ma part, Josef fut le premier à accueillir mon premier texte littéraire en m’offrant des éloges qui me donnèrent des ailes. Je l’ai revu au fil des années straeléniennes et puis dans son havre en Allgäu, et plus tard chez moi, à Berlin et en Limousin. Un regard circulaire hier soir dans ma bibliothèque après avoir appris son décès, là tout en haut à droite, en bonne place à côté de ses traductions de Jean Rouault et de Laurent Mauvigner, Ludwig Feuerbach, Denker der Menschlichkeit. Eine Biographie von Josef Wininger. Et puis en dernier lors d’un colloque au LCB, Literarisches Colloquium, où fut présenté le beau volume bleu Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung (édité par Marie Luise Knott, Thomas Brovot et Ulrich Blumenbach) auquel, entre autres, les ex-Straeléniens Josef et Eveline Passet ont contribué.

Josefs Tod berührt mich sehr und ruft sofort Erinnerungen an unsere Treffen und Gespräche in Straelen unter Josefs wohlwollender Federführung auf – ein zuverlässiger, großartiger Moderator, voller Empathie und Sanftheit, offen für jede Fragestellung, hellhörig auf die kleinste Formulierung eines jeden, einer jeden von uns. Was mich betrifft, so hat Josef meinen ersten literarischen Text mit solchem Lob aufgenommen, dass es mir Flügel verlieh. Im Laufe der Straelener Jahre haben wir uns wiedergesehen, später auch in seiner Allgäuer Oase und noch später auch bei mir in Berlin und im Limousin. Als ich von Josefs Tod erfuhr, suchte ich noch am Abend nach seinen Büchern in meinen Regalen und fand ganz oben rechts neben seinen Übersetzungen von Jean Rouault und Laurent Mauvigner, an trefflicher Stelle, Ludwig Feuerbach, Denker der Menschlichkeit. Eine Biographie von Josef Winiger. Ein letztes Mal begegneten wir uns im Literarischen Colloquium Berlin auf dem Übersetzertag 2015 bei der Vorstellung von Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung (ein Sammelband mit herrlich blauem Schutzumschlag, herausgegeben von Marie Luise Knott, Thomas Brovot und Ulrich Blumenbach), zu dessen Beiträgern unter anderem zwei Ex-Straelener gehören, Eveline Passet und – Josef.

Pierre Deshusses und Marion Graf:

Marion : Oui, j’ai aussi repensé à tous ces souvenirs que tu évoques, Anne-Marie… Josef a été incroyablement dévoué à la défense de notre beau métier!
Il a formé une génération de traducteurs!

Pierre : Le mot « bienveillant » que tu emploies, Anne-Marie, rend très bien la personnalité de Josef. Dévoué aussi, comme l’écrit Marion. Modeste et rigoureux. Avec sa barbe, il avait des allures de patriarche, mais sans rien de sévère. Son regard clair semblait toujours étonné et prêt à considérer ce que disaient les autres, à y appliquer son intelligence. Il savait rire aussi. À Straelen, avec lui et ceux et celles d’entre vous que je retrouvais régulièrement là-bas, je me sentais comme dans une famille, avant de faire connaissance de sa vraie famille dans l’Allgäu. Peut-être y aura-t-il un jour un prix de traduction qui portera son nom.

Marion: Ja, in mir steigen dieselben Erinnerungen auf, die du erwähnst, Anne-Maria … Josef war unendlich hingebungsvoll in der Verteidigung unseres schönen Berufs!

Pierre: „Wohlwollend“, dieses Wort von Anne-Marie Geyer, drückt Josefs Persönlichkeit sehr treffend aus. Ebenso „hingebungsvoll“, wie Marion Graf schreibt. Auch: bescheiden, und gründlich. Mit seinem Bart hatte er etwas von einem Patriarchen, freilich ohne jede Strenge. Sein klarer Blick wirkte immer erstaunt und stets bereit, das von anderen Gesagte zu bedenken, seine ganze Erkenntniskraft hineinzugeben. Und er verstand es, zu lachen. In Straelen fühlte ich mich, noch ehe ich Josefs eigentliche Familie im Allgäu kennenlernte, mit ihm und all jenen, die ich dort in den von ihm geleiteten Werkstätten regelmäßig wiedersah, wie in einer Familie. Marion schreibt zu Recht, dass Josef eine ganze Generation von Übersetzern und Übersetzerinnen geprägt hat, und vielleicht trägt ja eines Tages ein Übersetzungspreis seinen Namen.

Foto: privat

(12.5.2025, zuletzt aktualisiert am 3.6.2025)