Wir trauern um: Nathalie Lemmens

Nathalie Lemmens (Foto: Dieter Sellner)
Am 23. Juni 2025 ist unsere geschätzte Kollegin Nathalie Lemmens verstorben.
1976 geboren, wuchs Nathalie Lemmens in Kelmis, im deutschsprachigen Teil Belgiens, auf. In Düsseldorf studierte sie Literaturübersetzen und übersetzte seitdem sowohl Belletristik als auch Sachbücher aus dem Französischen, Englischen und Niederländischen ins Deutsche. Sie war Mitglied im VdÜ und engagierte sich bei der Weltlesebühne und den BücherFrauen.
Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei der Familie sowie den Angehörigen und allen, die ihr nahestanden.
Ein Nachruf
Als ich im Juni 2023, schon in Vorfreude auf die Wolfenbüttelsause, Nathalie Lemmens anfragte, ob sie nicht ein kleines Amt bei der Weltlesebühne übernehmen wolle, bekam ich die ebenso unerwartete wie bestürzende Antwort, dass sie wegen einer Chemotherapie mit ihren Kräften haushalten und daher zu ihrem Bedauern absagen müsse. Tja, manchmal ist das Schicksal halt doch ein mieser Verräter.
Nathalie war ein Mensch von einer natürlichen und beeindruckenden Sicherheit und Präsenz. Mit der sie nicht nur gleich beim ersten Kennenlernen ihren späteren Mann Dieter faszinierte, sondern sich auch vielen Kolleg*innen eingeprägt hat. Sei es in Frankfurt beim VdÜ-Stammtisch, zu dem sie trotz der langen Anfahrt aus Dieburg regelmäßig kam, oder beim Wolfenbütteler Gespräch, wo Nathalie gerne ausgelassen feierte.
Ebenso präsent hat sie sich nach dem Studium in Düsseldorf an der HHU (abgeschlossen als Jahrgangsbeste!) als Literaturübersetzerin gemacht. Diszipliniert, akkurat und stets mit gründlicher Recherche hat sie auch anspruchsvollste Sachbücher und Belletristik ins Deutsche übersetzt. Das Literaturübersetzen war für sie eben nicht nur Berufung, der sie leidenschaftlich folgte, sondern auch ihr einziger Beruf. Weshalb sie ziemlich empört war, als ein renommierter Kollege bei seinem Workshop in WoBü meinte: „Natürlich habe ich auch einen Brotjob.“ Nein, für Nathalie war es nicht „natürlich“, nicht mit dem, das sie studiert hatte, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Nathalie wurde 1976 in Kelmies geboren, das liegt im deutschsprachigen Teil Belgiens, weshalb sie mit Deutsch, Französisch und Flämisch-Niederländisch aufgewachsen ist. Und auch mit dem Karneval, der sie ihr ganzes Leben begleiten sollte. Ja, richtig gelesen. Auch als seriöse Übersetzerin kann man sich gerne verkleiden. Ich weiß nicht, ob alle Stationen so wirklich geplant waren, doch nach Kelmies kam Düsseldorf – mehr muss ich dazu nicht sagen –, und als sie nach dem Studium mit ihrem Mann nach Hessen zog, wählten sie Dieburg als neue Basis. Dort – so ein Zufall! – ist die Fastnacht schon seit 500 Jahren Tradition.
In die sich Nathalie mit großer Begeisterung stürzte und regelmäßig fantastische Kostüme selbst schneiderte. Rund um den großen Umzug rückten Übersetzungen und Kolleg*innen in den Hintergrund, ich wurde am Telefon einmal ziemlich barsch abgefertigt, wie ich denn jetzt an irgendetwas anderes als Fastnacht denken könnte.
Zurück zur Literatur. Da hat sie ein beeindruckendes Œuvre hinterlassen. Zu den von ihr übersetzten Autor*innen zählen Sudhir Kakar, José Frèches, Robin Cook, Anne Golon, Chris Greenhalgh, Adam Zamoyski, Katherine Pancol, Jean-Christophe Rufin, Gustaaf Peek. Als Frankreich 2017 Gastland der Frankfurter Buchmesse wurde, war sie zum Hieronymustag für die Weltlesebühne „Gläserne Übersetzerin“ und stellte Wir werden glücklich sein von Aurélie Silvestre vor (eine berührende Geschichte einer Frau, die beim Anschlag auf die Pariser Konzerthalle Bataclan ihren Lebensgefährten verlor und sich danach ins Leben zurückkämpfte).
Persönlich bin ich ihr sehr dankbar, dass sie zu Beginn der Pandemie, als von Neustart Kultur noch nicht einmal zu träumen war, mit einem selbstgedrehten Video dazu beitrug, den Youtube-Kanal der Weltlesebühne aus seinem Dornröschenschlaf zu holen. Auch dort stellte sie ein tolles Buch vor: Delphine Minoui: Die geheime Bibliothek von Daraya. Über die Macht der Bücher in Zeiten des Krieges. Ein zweites Video, das sie zu einem anderen ihrer Bücher, das ihr sehr am Herzen lag – Simon Winders Herzblut. Eine Reise durch Europas historische Mitte zwischen Frankreich und Deutschland und damit ihrer Heimatregion –, blieb leider eines von diesen „Das machen wir dann mal, wenn wir Zeit haben“-Projekten.
Bei der Besprechung von Der Tanz auf dem Vulkan der haitianischen Marie Vieux-Chauvet wurden im Deutschlandfunk die „überzeugenden Entsprechungen im Deutschen“ für die haitianische Diktion und die „kenntnisreichen Anmerkungen“ gelobt.
Etwas kurios begann ihr Engagement als Mentorin. Beim Mentoring-Programm der BücherFrauen hier in der Metropolregion wollte eine Mentee neben Infos zu Kulturveranstaltungen unbedingt Einblicke ins Literaturübersetzen aus dem Niederländischen gewinnen. Das Orgateam war überglücklich, dass Nathalie tatsächlich Erfahrung in beiden Bereichen hatte und sich das Amt der Mentorin auch zutraute. Gleich nach der ersten Sitzung stellte das Paar ernüchtert fest, dass Literaturübersetzen doch nichts für die Mentee ist. Trotzdem haben beide das Jahr mit für beide Seiten gewinnbringenden Erkenntnissen vollendet.
Mit ihrer freundlichen, unaufdringlichen und dabei doch energischen Art war Nathalie überall beliebt und hatte einen großen Freundeskreis, der sie auch in den letzten Jahren unterstützte. Sie reiste gern – und kam auch im letzten Jahr noch einmal in ihre Lieblingsstadt Siena.
Daher ja, das Schicksal ist ein mieser Verräter, aber bei Nathalie Lemmens hat es trotz allem einiges richtig gemacht.
(Barbara Neeb, Frankfurt/Main, im Juli 2025)
(10.7.2025, aktualisiert 30.7.2025)