Was ist passiert?

Anlässlich der Hauptversammlung der Bastei Lübbe AG haben wir für höhere Übersetzungshonorare und gegen die seit vielen Jahren von Bastei Lübbe praktizierte Verrechnung der Absatzbeteiligung mit dem Grundhonorar protestiert.

 

Welches Fazit ziehen wir nach der Protestaktion?

Wir ziehen ein positives Fazit: Unser Verband hat sich mit den Kolleg·innen, die für die Bastei Lübbe AG übersetzen, solidarisch gezeigt: 20 Übersetzer·innen haben mit Flugblättern, selbst gestalteten Schildern und ver.di-Fahnen protestiert und damit ihren Unmut gegen die Vertragsbedingungen dieses Verlags kundgetan. Die Anwesenden waren nicht in eigener Sache dort, sondern für die Belange ihrer Berufskolleg·innen. Es wurde zusammen skandiert, gelacht, gehüpft – denn „Wer nicht hüpft … wird nicht beteiligt!“

Wir haben es geschafft, die Aktionär·innen vor der Hauptversammlung des Konzerns mit Flugblättern und in Gesprächen über die Missstände bei unserer Honorierung zu informieren und hatten auch zwei Kolleginnen vor Ort, die in der Versammlung unsere Anliegen vorgetragen und dem Vorstand der AG unbequeme Fragen gestellt haben.

Die Aktion hat Aufmerksamkeit generiert, die wir zur Verbesserung unserer Situation bitter brauchen. Berichte im Radio und in Zeitungen helfen uns, auf einem sehr asymmetrischen Markt – ein paar wenige Verlagskonzerne stehen einer großen Zahl freier Übersetzer·innen gegenüber –, unsere Position durch öffentlichen Druck zu stärken. Dass der Vorstand der Bastei Lübbe AG nun „Gesprächsbereitschaft“ und „Offenheit“ signalisiert, liegt nicht daran, dass einzelne Soloselbstständige beim Aushandeln ihrer Übersetzungsverträge versucht haben, höhere Honorare zu erzielen. Im Gespräch mit der Vertragsabteilung des Konzerns beißen die nämlich regelmäßig auf Granit.

 

Zeigt sich die Bastei Lübbe AG nun gesprächsbereit?

Ja, die Bastei Lübbe AG zeigte sich in einem ersten gemeinsamen Videogespräch gesprächsbereit. Konkrete Zahlen wurden noch nicht verhandelt, aber eine Verbesserung der Honorare wurde in Aussicht gestellt. Ebenso wurde erklärt, dass die Verrechnung der Absatzbeteiligung auf das Grundhonorar „so nicht bleiben“ müsse.

 

Was fordern wir?

Die bislang von der Bastei Lübbe AG in vielen Verträgen ab dem 1. verkauften Exemplar gewährte Absatzbeteiligung begrüßen wir. Doch sind unsere Kolleg·innen, die für Bastei Lübbe übersetzen, leider noch nicht in den Genuss einer so früh einsetzenden Absatzbeteiligung gekommen, da diese Beteiligung mit dem Seitenhonorar verrechnet wird. Das widerspricht eindeutig dem Normvertrag, den der Börsenverein und der VdÜ gemeinsam für ihre Mitglieder geschlossen haben. Auch die BGH-Urteile zur Vergütung von Übersetzer·innen schreiben eine Absatzbeteiligung zusätzlich zum Grundhonorar vor, ohne Verrechnung.

Insbesondere fordern wir aber eine Anhebung der Seitenhonorare auf mindestens 25 Euro.

 

Worauf basiert unsere Forderung eines Mindest-Seitenhonorars von 25 Euro?

Wer sich die Honorarentwicklung der letzten 23 Jahre anschaut, also seit der Einführung des Euro, wird feststellen, dass die Übersetzungshonorare nur geringfügig gestiegen und teilweise sogar gesunken sind, während die Lebenshaltungskosten in diesem Zeitraum um über 50 Prozent gestiegen sind. Inflationsbereinigt sind unsere Honorare also stark gesunken: Ein Seitenpreis von 16 Euro zu Beginn des Jahres 2001 müsste heute 24,70 Euro betragen, nur um die Inflation auszugleichen. De facto liegen Seitenhonorare bei der Bastei Lübbe AG heute in bestimmten Sparten noch unter 16 Euro. In unseren Honorarumfragen wurden in den letzten Jahren vermehrt Seitenhonorare von 15, 14, 12 sogar von 9 Euro gemeldet. Das darf nicht sein!

Die ver.di-Basishonorare für alle Kunst- und Kultursparten sehen übrigens ein Mindeststundenhonorar von 56 Euro vor. Bei bestimmten Genres mag dies mit einem Seitenhonorar von 25 Euro zu erreichen sein, darunter wird es illusorisch.

Angesichts der fast verdoppelten Dividende können wir nur den Vorstandsvorsitzende der Bastei Lübbe AG selbst zitieren, der in der Aktionärsversammlung sagte: „Bei den Honoraren ist Luft nach oben.“

 

Halten sich denn alle anderen deutschen Verlage an den Normvertrag und ist die Bastei Lübbe AG bei dessen Missachtung ein Einzelfall?

Es lässt sich in der deutschen Verlagslandschaft ein interessantes Phänomen beobachten: Je kleiner und unabhängiger der Verlag, desto näher am Normvertrag gestaltet er die Übersetzungsverträge und umso entgegenkommender honoriert er die Übersetzer·innen. Andersherum formuliert: Je größer das Unternehmen, desto weiter weg von Normvertrag, BGH und GVR bewegen sich die Hausverträge. In der Übersetzungsvergütung spiegelt sich die Oligopolstruktur des Buchmarkts: Wenige große Verlage haben überproportional viel Macht und nutzen sie, um sich über Vergütungsregeln und Branchenverträge hinwegzusetzen.

Bei Bastei Lübbe ist das besonders auffällig. Die Dividende entsteht auf dem Rücken der Urheber·innen, die am Anfang der Wertschöpfungskette des Verlags stehen. Im Hinblick auf die ESG-Kriterien für Aktienanbieter wäre in dem Zusammenhang zu überlegen, ob ein Konzern wie Bastei Lübbe das „S“ in „ESG“ mit der Bedeutung „sozial verantwortlich“ wirklich erfüllt, wenn Soloselbstständige so schlecht für ihre Arbeit honoriert werden, dass sie nur mit Mühe ihre Miete begleichen können und definitiv in Altersarmut landen, wenn sich nichts ändert.

Verärgerung und Frust gibt es unter Übersetzer·innen auch über die Honorare und Vertragsbedingungen anderer Verlagshäuser. Holtzbrink-Verlage beharren etwa in bestimmten Sparten auf Honoraren von 16  Euro – im Jahr 2024! Die Verlage der Bonnier-Gruppe beteiligen degressiv, bis hin zu einem schon fast komödiantisch kleinen Prozentsatz. Und bei Penguin-Random-House beträgt die Absatzbeteiligung – mit einer fadenscheinigen Begründung – nochmal ein Viertel weniger als vom BGH-Urteil festgesetzt!

Und wenn wir ehrlich sind, haben bislang weder die Reformen des Urhebervertragsrechts noch die höchstrichterlichen Urteile zu einer nachhaltigen Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen geführt. Wenn wir diesen Beruf weiter ausüben sollen, muss sich endlich grundlegend etwas ändern.

 

Wollen wir die Verlage wirtschaftlich ruinieren? Haben wir kein Verständnis für deren wirtschaftliche Nöte?

Mit den meisten Auftraggebern verhalten wir uns in hohem Grade solidarisch, nehmen viel Rücksicht auf so manche wirtschaftliche Schieflage und tragen aus Idealismus viele Leistungen unentgeltlich bei, die in anderen Branchen ganz selbstverständlich bezahlt werden. Es darf aber nicht sein, dass wir als Literaturübersetzer·innen den Literaturbetrieb grundsätzlich querfinanzieren! Vor allem die größeren Konzernverlage erwirtschaften ordentliche Gewinne. Die Dividendensteigerung und die Traumgehälter der C-Suite von Bastei Lübbe sind für uns und die ganze Branche ein Schlag ins Gesicht.

Wirtschaftliche Probleme haben vor allem kleine Verlage. Denen entzieht die aktuelle Kulturpolitik der Bundesregierung nun auch noch mit der Mittelkürzung der Bundeskulturfonds eine weitere Säule ihrer Existenz. Damit eines klar ist: Diesen Verlagen gilt unsere ganze Solidarität.

 

Welche Haltung bei den Verlagen wünschen wir uns?

Die Literaturbranche sollte nicht primär auf Profite aus sein, sondern auf die Verbreitung von Texten und Gedanken. Wir wünschen uns, dass die Verlage unseren Idealismus teilen! Wir beobachten aber, dass die Selbstausbeutung auf der einen Seite mit einer Fremdausbeutung auf der anderen einhergeht. Wenn Menschen keine Literatur mehr machen können, wenn Menschen keine fremdsprachigen Gedanken mehr in den deutschen Sprachraum bringen, verarmt die ganze Kultur. Das kann niemand wollen!

 

Was ist unsere Position zum Thema Post-Editing? Ist nicht verständlich, dass Honorare für Mashine Translation Post-Editing (MTPE) niedriger ausfallen, weil die Maschine ja schon einen Teil der Arbeit geleistet hat?

Ganz und gar nicht! Maschinengenerierten Output in Literatur zu verwandeln, ist nicht weniger aufwändig oder „schneller gemacht“ als eine reguläre Übersetzung. Es gibt in KI-generierten Übersetzungen allerlei Tücken, Inkonsistenzen und Biases. Ausdruck und Sinn verlieren im Maschinenoutput an Prägnanz: geringere Verbvariation, gehäufte Passivkonstruktionen, Parataxen ohne satzinterne Gewichtung, haufenweise Substantive, aber dafür kaum Komposita. Die Literatur wäre eine schlechtere, wenn Menschen nicht mehr so viel Arbeit und Herzblut in sie stecken würden. Diese Probleme lassen sich auch nicht durch geschicktes „Prompten“ beheben. Menschliche Übersetzer·innen finden für jeden Text den passenden Stil und eine entsprechend Erzählhaltung, Maschinen können das nicht.

Zudem ist es viel unattraktiver, einen Text nachzubearbeiten, als ihn zu übersetzen. In Selbstversuchen haben Kolleg·innen herausgefunden, dass sie für „Machine Translation Post Editing“ (MTPE) auch mehr Zeit benötigen als für eine Übersetzung. MTPE dauert länger, macht mehr Mühe und weniger Spaß, erfordert aber mindestens dieselbe Kompetenz wie das Übersetzen. Einer der Gründe, warum Übersetzer·innen heute noch Hungerhonorare akzeptieren, ist der Spaß an der Arbeit. Wenn dieser wegfällt, müssen die Honorare deutlich steigen. Stumpfsinnige Arbeit können wir auch in anderen Branchen annehmen - und zwar für deutlich mehr Geld!

 

Machen wir uns mit Blick auf die technische Entwicklung Sorgen um unsere Zukunft?

Wir sind überzeugt davon, dass KI gegenwärtig nicht in der Lage ist, ohne aufwändige menschliche Zuarbeit sprachlich oder inhaltlich kongruente, geschweige denn innovative oder gesellschaftlich relevante Texte hervorzubringen. Trotzdem beobachten wir den Versuch, mit KI Honorardumping zu betreiben. Wir fordern bereits seit 2023, dass Urheber·innen geschützt werden müssen und dass unser Lesepublikum mehr Selbstbestimmung im Umgang mit KI-Erzeugnissen braucht. Wir fordern auch, dass kreative Arbeit gefördert werden muss, dass Kulturunternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden sollen und bei all dem auch der Ressourcenverbrauch eine Rolle spielen muss.

Kürzlich hat die Initiative Urheberrecht ein Gutachten veröffentlicht, wonach Entwickler von KI-Software urheberrechtlich geschützte Werke in der EU überhaupt nicht entgeltfrei zum Training ihrer Modelle nutzen dürften. Es handele sich um einen Verstoß gegen das Urheberrecht. Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, müssen viele scheinbaren Gewissheiten der KI-Entwicklung im Zusammenhang mit dem Urheberrecht neu überdacht werden.

 

Aber kann uns KI die Arbeit nicht erleichtern? Ist das bei literarischen Übersetzungen ausgeschlossen?

KI kann uns hier und da als Hilfsmittel dienen – so wie Wörterbücher oder eigene Wortsammlungen es seit jeher tun. Besonders erleichtert sie uns die Arbeit, wenn sie unsere Rechnungen schreibt und Buchhaltung macht und andere Orga-Aufgaben übernimmt. Letztlich verfügen freiberufliche Übersetzer·innen über Betriebsmittelfreiheit und können, sofern sie es für ihre kreative Arbeit als hilfreich erachten, alle legalen Hilfsmittel ihrer Wahl verwenden. Ob sich ein Arbeitsmodus finden lässt, bei dem KI sinnvoll eingesetzt werden kann, werden die nächsten Jahre zeigen. Dieser Frage wird sich unter anderem der Übersetzertag des Deutschen Übersetzerfonds am 22. November 2024 in Berlin widmen.

 

Gelten bei der Unterhaltungsliteratur nicht andere Regeln? Wird es hier nicht bald nur noch KI-übersetzte und KI-geschriebene Bücher geben?

Die Unterscheidung zwischen „Unterhaltungsliteratur“ und „anderer Literatur“ ist eine rein theoretische. Tatsächlich lassen sich sehr viele auflagenstarke Titel nicht klar einer bestimmten Schublade zuordnen. Wir arbeiten an jedem Buch mit Hingabe und großem Respekt für seine besondere Stimme. Die Übergänge zwischen den Genres sind fließend. Der europäische Dachverband der Literaturübersetzerverbände (CEATL), der europaweit ca. 10.000 Literaturübersetzende vertritt, erklärt zum Thema „Künstliche Intelligenz“: „Jede·r Urheber·in zählt, jede Sprache zählt, jedes Buch zählt.“ Und so wollen wir es halten.

 

Wo sehen wir bezüglich unserer Honorare und der Regulierung von KI politischen Handlungsbedarf?

Wir brauchen eine gesetzliche Festschreibung von Mindesthonoraren für Übersetzungen außerhalb des juristischen Bereichs analog zum JVEG – hier ist das Justizministerium gefragt – oder alternativ: Tarifvereinbarungen. Hier rechnen wir auf ein Entgegenkommen der Verlage. Vorschläge von gewerkschaftlicher Seite gibt es.

Wir unterstützen eine Verlagsförderung für Kleinverlage, damit die Vielfalt der literarischen Landschaft erhalten bleibt, die nicht nur für Übersetzer·innen wichtig ist!

Wir fordern ein Verbandsklagerecht, damit Übersetzer·innen gegen Verstöße gegen das Urhebervertragsrecht vorgehen können, ohne fürchten zu müssen, dass sie ihre Auftraggeber und damit ihren Lebensunterhalt verlieren!

Wir brauchen angesichts der Machtasymmetrie eine wirtschaftliche Stärkung der soloselbständigen Kreativen durch Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln für die Kulturfonds. Aktuell droht mit den angekündigten Budgetkürzungen der Kulturfonds genau das Gegenteil: Die wirtschaftliche Schieflage im Kulturbereich wird größer, und wir befürchten die Abwanderung von Übersetzer·innen in andere Berufe und den unwiederbringlicher Verlust einer jahrhundertealten Kulturtechnik. Wir halten es daher für sinnvoll, den Erhalt einer lebendigen, weltoffenen und vielseitigen Kultur als Staatsziel festzuschreiben.

In Sachen KI fordern wir eine Kennzeichnungspflicht für KI-Erzeugnisse, ein Zustimmungserfordernis der Urheber·innen zum Training von KI-Systemen mit urheberrechtlich geschützten Materialien, eine angemessene Vergütung für die Nutzung unserer Werke als Trainingsdaten, die freie Wahl der Arbeitsmittel und Datensouveränität für alle, also auch für Datensätze, die nicht unter das Urheberrechtsgesetz fallen. Staatliche Technikförderung muss primär berücksichtigen, was der Kreativarbeit hilft, und vermeiden, was sie erschwert oder unnötig monoton macht. Es braucht ein Zertifizierungssystem zur Zulassung von KI-Systemen, an dem Kreative mitarbeiten.Trainingsdaten von KI-Software sollen von den Hersteller·innen der Basismodelle immer dann offengelegt werden, wenn sie urheberrechtlich geschützte Werke und personenbezogene Daten enthalten. Kreative müssen die Verwendung ihrer Werke nachvollziehen können.

(10.10.2024)