ES: Kleines Wort – große Wirkung, wie wir spätestens seit Stephen Kings gleichnamigem Roman wissen. Überall in Drostes Gedichten versteckt sich dieses unscheinbare Pronomen, gern auch apostrophiert am Rocksaum eines Verbs.

An allen möglichen (und unmöglichen) Stellen „flattert es“, „wirbelt’s“ oder „ist’s“ eben „schaurig“. Es-Konstruktionen sind zwar ein typisches Merkmal der zum Bürokratischen neigenden deutschen Sprache, die damit geschickt die direkte Benennung von Handlungsträger*innen (und Verantwortlichen) vermeidet. Gleichzeitig ist ihre Häufigkeit in Drostes Naturgedichten auffällig und verbindet sich gut mit der unheimlichen Belebtheit der Natur, die sie in Szene setzen.

Das Schaurige in Der Knabe im Moor entsteht nämlich genau dadurch, dass über mehrere Strophen hinweg offen gelassen wird, ob die Landschaft, durch die das verängstigte Kind läuft, einfach nur Landschaft mit waberndem Nebelmeer ist oder eben doch eine Meute von Hexen und anderen halb menschlichen Kreaturen verbirgt. Überall in Drostes Gedichten, wo Natur sich verhält, als wäre sie ein handelndes Subjekt, kommt „es“ vor, „dieses Wort“, wie der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich in seiner Vorlesung Arbeiten mit Ödipus schreibt, „mit einem umgangssprachlich selber sehr diffusen Sinn, der bis ins Großartige, sagen wir, Kryptodämonische oder Kryptogöttliche gesteigert sein kann in Formulierungen wie ‚Es donnert‘, ‚Es blitzt‘, ‚Es regnet‘, wo also das Impersonale die Personalia vertritt, die man ungestraft nicht kennen darf“ – und damit wären wir auch schon wieder bei Stephen King. 

Das gerade entstehende Droste Glossar ist Teil des Projekts Trans|Droste und versammelt Einträge zu verschiedenen Charakteristika des Schreibens von Annette von Droste-Hülshoff – aus der Perspektive ihrer Übersetzer*innen. Trans|Droste, wie berichtet ein Neustart-Projekt, ist ein digital basiertes Übersetzungs-Labor zu Texten Droste-Hülshoffs. Es ist Werkstatt, Sprachbegegnungsstätte und Zeit- und Weltreisevehikel in einem. In der ersten Phase des Projekts übersetzten Shane Anderson, Daniel Falb, Monika Rinck und Annie Rutherford in einem kollaborativen Prozess Gedichte und Prosaauszüge der westfälischen Dichterin ins Englische.

(22.3.2021)