Martin Pfeiffer (1943-2023); Bild: privat

Martin Pfeiffers saftiger Titel Du Jane, Ich Goethe für den spröden Originaltitel The Unfolding of Language: The Evolution of Mankind‘s Greatest Invention verhalf Guy Deutschers Buch zu Kultstatus. 2011 erhielt Martin Pfeiffer hierfür den C.H.Beck-Preis für Sachbuchübersetzungen. Das Buch wurde ein Bestseller. Dabei war Martin das Gegenteil eines „Bestsellertyps“.

Zurückhaltend, diskret, gebildet, dabei zugewandt, neugierig im besten Sinn. Für ihn galt: Alles ist interessant.

Freunde und Kollegen erinnern sich an ihn als einen Gelehrten der alten Schule, von unermüdlichem Fleiß, sagenhafter Belesenheit und enzyklopädischem Wissen, vergraben in Sprachen und Büchern. Ein Archäologe des Wortes. Er war kein Feind des Internets, aber bevorzugte den Griff zu analogen Printausgaben. Alle relevanten Nachschlagewerke waren mit einer halben Drehung in die eine oder andere Richtung von seinem Arbeitsplatz aus zu erreichen.

Andere haben ihn aber auch als praktisch orientierten Menschen kennengelernt, als Handwerker, der seine Bücherregale selbst baute, die Bretter mit Nut und Feder ordentlich gefügt und mit Bootslack versiegelt, den er noch aus der Zeit hatte, als er ein Auto und ein Boot besaß. Martin als Autofahrer, Martin als Bootsführer auf Dahme oder Spree, das konnten sich viele nicht vorstellen. Dritte wiederum kannten ihn als Musiker. Er besaß neben dem Wandklavier – das er bei seinem letzten Umzug einer Kollegin schenkte – auch ein elektrisches, um zu jeder Tageszeit spielen zu können.

Alle werden sich an seinen Humor erinnern, der mal leise verschmitzt, mal fröhlich frech daherkam.

Martin Pfeiffer entstammte einer ostpreußischen Künstlerfamilie, um deren künstlerischen Nachlass er sich zeitweilig kümmerte, war aber ein Berliner Kind, ohne zu berlinern – und mit einem Horizont weit über die Mauerstadt hinaus, geistig und physisch. Nach einem altsprachlichen Abitur führte ihn seine erste Reise nach Finnland, eine Liebe, die er im Alter wiederentdecken, die ihn zur Deutsch-Finnischen Gesellschaft bringen und in ihm den Wunsch wecken sollte, endlich auch diese Sprache zu lernen. Es folgten weitere Reisen nach Dänemark, Norwegen, aber auch Jugoslawien und Griechenland.

Er studierte Indologie, indische Kunstgeschichte und Slawistik an der FU Berlin, schloss 1969 mit einer Dissertation ab, habilitierte sich 1990, nach einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit einer Arbeit über Indische Mythen vom Werden der Welt und lehrte mehrere Jahre als Privatdozent für Indologie an der FU.

Auch während des Studiums bereiste Martin weiter die Welt: Türkei, Iran … Er nahm den ganzen Landweg bis nach Indien, wo er 1968/69 an den Ausgrabungen in Sonkh teilnahm.

Schon seit Mitte der 70er Jahre arbeitete er auch als freier Übersetzer aus den Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Serbokroatisch und Urdu. Zu seinen Autoren zählten u.a. Tariq Ali, Umberto Eco, Saul Friedländer, Félix Guattari, Robert Harrison, Ian Kershaw, George Steiner, Vladimir Propp. Die Bibliographie seiner Übersetzungen umfasst mehr als 50 Titel allein nur in Buchform.

Mitte der 2010er Jahre wird Martin das Übersetzen einstellen und zuletzt noch einmal zwei wissenschaftliche Werke, zum Kurux (eine der vielen indischen Sprachen) und zum Sanskrit publizieren – als habe er den Kreis seiner Beschäftigung mit den Sprachen vielleicht nicht schließen, doch mit einer Rückkehr auf den indischen Subkontinent zu einem Rund gestalten wollen.

Welch außerordentliche sprachliche Ausdruckskraft Martin Pfeiffer besaß, wie erfinderisch und einfallsreich er arbeitete, zeigt die Übersetzung des bereits erwähnten Buchs von Guy Deutscher. In der Laudatio zum C.H.Beck-Preis, Laudator Hendrik Birus, heißt es:

„So ersetzt der Übersetzer hier Deutschers »children’s joke question«: »How do you get down from an elephant?« – Antwort: »You don’t get down from an elephant. You get down from a duck!« (S. 28), die dem deutschen Leser nur mit einer umständlichen Erläuterung verständlich zu machen wäre (etwa: get down from bedeutet sowohl ›hinabsteigen von‹ als auch ›Daunen bekommen von‹), durch das deutsche Witzwort: 
Eine Frau im Laden: »Kann ich das Kleid im Fenster anprobieren?« Die Verkäuferin: »Sicher, aber wir haben auch Umkleidekabinen.« (S. 41)

Wie Deutscher im »Vorwort zur deutschen Ausgabe« zu Recht betont, ist dies also »keine Übersetzung im herkömmlichen Sinne des Wortes«:

»Weil […] die Originalversion einem englischlesenden Publikum zugedacht war, stammte die Mehrzahl der Beispiele, die zur Veranschaulichung der allgemeinen Prinzipien herangezogen wurden, selbstredend aus der Geschichte der englischen Sprache. Um das Buch einer deutschen Leserschaft zu adaptieren, war es nun notwendig, viele Änderungen vorzunehmen, die weit über eine bloße Übersetzung hinausgehen: Neue Beispiele – diesmal aus der deutschen Sprachgeschichte – mussten die ursprünglichen ersetzen und umfangreiche Passagen dementsprechend geändert oder sogar komplett neu geschrieben werden.« (S. 9)“

Robin Cacketts schöne Erinnerung an Martin Pfeiffer soll hier in Gänze abgedruckt werden:

„Es gab eine Weile, da hatte ich mehr mit Martin zu tun, ich denke, es war von der Gründung des ersten Berliner Englisch-Übersetzer-Stammtischs Anfang der neunziger Jahre bis zum Ende des Jahrzehnts. Ich fühlte mich Martin besonders verbunden, weil wir, gleichsam Brüder im Geiste, in der großen Schar der Belletristiker mit Fach- und Sachbuchübersetzungen ein Rand- und Schattendasein führten… Seine Arbeit war immer überaus präzise und doch dem Ideal eines auch in längeren Perioden wohlgefälligen und erbaulich zu lesenden Textes verbunden. Meine Kenntnisse des Altgriechischen waren dürftig, dem Lateinischen hatte ich ganz entsagt, und so kam es nicht selten vor, dass ich für die Übersetzung historischer Texte und Quellen der Hilfe eines Fachkundigen bedurfte. Dann stand Martin mir stets mit großer Freundlichkeit bei, schlug Wörter im Georges nach und vermochte die Einträge, die er dort fand, auch aufs Trefflichste zu erläutern. Er war vom Studium her habilitierter Indologe und Sanskritist, aber ich glaube nicht, dass ihm, trotz seiner unerschütterlichen Zugewandtheit, die universitäre Lehrtätigkeit sehr gelegen hätte, zu schweigen von den administrativen Verpflichtungen, mit denen Lehrstuhlinhaber heutzutage ihre Zeit vertun. Ich habe ihn als Gelehrten der alten Schule erlebt… einmal habe ich ihn bei ihm zuhause besucht, in diesem Kabinett der indischen Hieroglyphen und Buchstaben.

Das letzte Mal kreuzten sich unsere Wege auf bemerkenswert Weise. Ich hatte die ersten Bücher des Begründers des New Historicism, Stephen Greenblatt, ins Deutsche übertragen, wurde aber inmitten der Arbeit an seinem nächsten Buch, das von Wiedergängern in der frühen Neuzeit handelte, vom Verlag zurückgepfiffen, weil der Autor seine Seele beziehungsweise sein Opus magnum über Shakespeare an einen zahlungskräftigeren Verlag verkauft hatte. Zum Trost wurde mir die Sekundärübersetzung des altindischen Kamasutra aus dem Englischen ins Deutsche angetragen. Ich sagte ohne Zögern, aber nicht ganz ohne schlechtes Gewissen zu, weil es doch, als altindischer Text, Martins Buch hätte sein müssen. Und dann blieb mir, ob meiner vollständigen Unkenntnis des Sanskrit, an vielen Stellen nichts übrig, als neben der Rücksprache mit den beiden englischen Übersetzern auch einen deutschen Sanskritisten beizuziehen, und wer lag da näher als Martin? Als ich ihn anrief und ihm gestand, dass ich in seinem angestammten Gebiet wilderte, wirkte er fast ein wenig erleichtert: Auch er habe in letzter Zeit häufig an mich gedacht, weil er an eben jenem großen Werk über Shakespeare sitze, von dem er dächte, dass es von Rechts wegen auf meinem Schreibtisch liegen müsste. Ich erzähle diese kleine Geschichte, wie eine potenziell konfliktträchtige Situation sich auf wunderbare und friedvollste Weise in Wohlgefallen auflöste, weil sie, wie ich finde, als Metapher für Martins ganzes Wesen stehen mag.“

Martin Pfeiffer ist am 11. November 2023 im Alter von 80 Jahren verstorben. Ein großer Verlust. Unser Beileid gilt seiner Familie, besonders Wolfgang Balcke sowie seiner Lebensgefährtin Barbara Koester.

Thomas Stegers