Michael Krüger, Verleger des Hanser Verlags, sieht vor
dem Hintergrund einiger erstinstanzlicher Urteile
zur angemessenen Übersetzervergütung die Buchvielfalt
in Deutschland bedroht. (Hannes Hintermeier: "Dann wird
dieses Land andere Literaturverlage bekommen", FAZ 11.1.2006,
Seite 31). Er wirft den Übersetzern vor, sich ihre Übersetzungleistung
"wie ein Sudienrat" bezahlen zu lassen und obendrauf
noch gerichtlich eine "Kreativbeilage" zu fordern.
Übersetzer bezahlt wie Studienräte? Gerlinde Schermer-Rauwolf,
Vorsitzende des VdÜ, antwortete auf den Angriff in der
FAZ vom 17.1.2006.
Friß oder stirb
Von Gerlinde Schermer-Rauwolf
Sollen Übersetzer und Autoren gleichberechtigt sein?
Für die Übersetzer und Übersetzerinnen stellt
sich die Frage so gar nicht. Ihre Übersetzungen sind
eigenständige Werke, an denen sie, ebenso wie ein Autor,
das Urheberrecht besitzen - das an der deutschen Fassung.
In mancher Hinsicht ist die Arbeit des Übersetzers jener
des Schriftstellers ähnlich, in anderer Beziehung unterscheidet
sie sich erheblich davon.
Immer aber gilt: Übersetzer arbeiten im Auftrag eines
Verlags, der das fremdsprachige Buch erworben hat, der sich
etwas davon verspricht und über seine Vermarktung entscheidet.
Deshalb müssen Übersetzer anders vergütet werden
als Autoren. Gleichwohl muß auch ihre Honorierung angemessen
sein. Damit stellt sich die eigentliche Gleichberechtigungsfrage
in der Vergütungsdebatte: Können Übersetzer
mit ihrem Verlag auf Augenhöhe über ein angemessenes
Honorar verhandeln?
Jahrzehntelang mußten Übersetzer (und andere Urheber)
Verträge unterschreiben, auf deren Bedingungen sie praktisch
keinen Einfluß hatten. Eine strukturelle „Vogel
friß oder stirb Situation” ließ keinerlei
Verhandlungsspielraum. Das führte dazu, daß sich
das Einkommen auch vielbeschäftigter Übersetzer
im Schnitt auf dem Niveau von tausend Euro Monatseinkommen
bewegt. Belegt wird das durch den „Bericht der Bundesregierung
über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler
in Deutschland” vom Juni 2000, aber auch durch die Erhebungen
der Künstlersozialkasse.
Auf diese unhaltbare Situation reagierte der Gesetzgeber
im 2002 verabschiedeten Urhebervertragsrecht mit einem sehr
klaren Konzept: Verwerter (Verlage beziehungsweise der Börsenverein)
und Urheber (wie der Literaturübersetzerverband VdÜ)
einigen sich als beste Kenner der Materie auf gemeinsame Vergütungsregeln.
Die Verlage haben während des Gesetzgebungsverfahrens
ihre Änderungswünsche mit dem Versprechen durchgesetzt,
sich ohne jeden Druck mit den Übersetzern am Verhandlungstisch
zu einigen. Doch seit das Gesetz in Kraft ist, versuchen Verleger
und Börsenverein, sich solchen Verhandlungen zu entziehen.
Solange es keine gemeinsamen Vergütungsregeln gibt,
können Übersetzer innerhalb einer Verjährungsfrist
von drei Jahren die Angemessenheit ihrer Honorierung vor Gericht
prüfen lassen. Von diesem Recht hat bislang etwa ein
Dutzend Übersetzer Gebrauch gemacht. Allen betroffenen
Verlagen war zuvor angeboten worden, auf die sogenannte „Einrede
der Verjährung” zu verzichten und so die Klagen
zu vermeiden. Dann hätte man die Aufstellung gemeinsamer
Vergütungsregeln abwarten und die strittigen Verträge
in diesem Rahmen neu regeln können. Doch 2005 war, auch
auf Anraten des Börsenvereins, mit einer Ausnahme kein
Verlag dazu bereit.
Bei etwa der Hälfte dieser Vertragsanpassungsklagen
ist es zu erstinstanzlichen Urteilen gekommen. Sie entsprechen
keineswegs den Übersetzerwünschen, deren Vergütungsvorstellungen
eine deutliche Erhöhung des Seitenpreises beinhalten
- gestaffelt in Honorarzonen, je nach Anspruch und Schwierigkeit
des übersetzten Werks. Allerdings bestätigen sie
in der Tendenz unmißverständlich, daß den
Übersetzern eine Beteiligung zusteht, die sich proportional
am Verkaufserfolg des Buchs und der Verwertung der Rechte
bemißt.
In den meisten Übersetzungsverträgen ist bislang
keine solche Beteiligung vorgesehen. Wenn doch, dann setzt
sie fast immer erst bei Auflagenzahlen ein, die für die
entsprechenden Bücher nicht realistisch sind (häufig
ab dem 30.001. Exemplar); Beteiligungen an Nebenrechten -
wie Taschenbuch- oder Hörbuchlizenzen - machen meist
nur winzige Bruchteile des Verlagserlöses aus.
Leider nennt der Hanser Verlag nun nicht „seine”
Zahlen, sondern die Umsätze zweier Übersetzerinnen
- die natürlich nicht ihr Einkommen sind. Nach Abzug
von Büro- und Betriebskosten, Sozialabgaben, Urlaubszeiten,
Rücklagen für Krankheit und Alter ist der freiberuflich
arbeitende Übersetzer von dem unterstellten „Studienratsgehalt”
weit entfernt.
Wie Michael Krüger zu der Behauptung kommt, die Übersetzerin
des „Goldenen Pelikans” von Stefan Chwin würde
unter Zugrundelegung der Übersetzerforderung bei gleichem
Grundhonorar ein Plus von 18.850 Euro einstreichen, ist einfach
schleierhaft. Selbst wenn das Landgericht München I bei
der Auflagenbeteiligung den Übersetzern die geforderten
drei Prozent zugesprochen hätte, wären es in diesem
Fall bloß 5.270 Euro.
Tatsächlich aber würde durch ein solches Urteil
(im Hardcover ein Prozent Beteiligung bis 20.000 Exemplare,
darüber zwei) nicht einmal ein Zehntel der von Michael
Krüger genannten Summe gewährt - unter Zugrundelegung
der genannten Verkaufszahl ergeben sich 1.756,60 Euro.
Wieviel der Hanser Verlag mit den genannten Büchern
erwirtschaftet hat, teilt er leider nicht mit. So läßt
sich auf Grundlage der genannten Verkaufszahlen nur schätzen,
daß der Umsatz für Anna Gavaldas Roman „Zusammen
ist man weniger allein” schon ohne Einbeziehung der
Nebenrechtserlöse (Taschenbuch und Hörbuch) zwischen
einer und eineinhalb Millionen Euro liegt.
Hätte Michael Krüger wirklich die Zahlen des Verlags
auf den Tisch gelegt, wäre zu sehen: Auch wenn sich die
Tendenz der jetzigen Rechtsprechung als Regel durchsetzt,
werden Übersetzer nur dann gut verdienen, wenn der Verlag
bereits sehr gut verdient hat.
Die Bäume werden für die Übersetzer nicht
in den Himmel wachsen und den Verlagen gewiß nicht das
Wasser abgraben. Warum bloß beschwören Verlage
immer nur dann den Untergang der Buchkultur, wenn die Übersetzer
ihren angemessenen Anteil verlangen? Als die ausländischen
Autoren mit Hilfe von Agenten ihre Vorschüsse in schwindelerregende
Höhen trieben, sprach kein Verlag davon, weniger Übersetzungen
produzieren zu wollen.
Und wenn ein Buchhandelsriese wie Thalia von den Verlagen
Sonderrabatte verlangt, wird ebenfalls nicht das Ende der
Büchervielfalt in Deutschland beschworen. Es trägt
irrationale Züge, daß dies stets nur bei den berechtigten
Forderungen der Übersetzer nach angemessener Honorierung
geschieht.
Das Niveau der Übersetzungskultur in Deutschland ist
herausragend. Das hat viel damit zu tun, daß sich die
Übersetzerinnen und Übersetzer selbst Strukturen
des Austauschs, der Aus- und Weiterbildung geschaffen haben.
Daran hat der VdÜ als Verband ebenso Anteil wie eine
Vielzahl engagierter Übersetzer, die oft in engem Austausch
mit ihren Autoren stehen. Das gilt heute noch mehr als früher,
denn die Arbeitsbelastung in den Verlagen zwingt die Lektoren,
die Partner der Übersetzer im Verlag, inzwischen oft
in die Rolle des „product manager”.
Ohne Übersetzer gibt es keine Weltliteratur. Doch ob
Kinderbücher oder Krimis, große Literatur oder
Bestseller fremdsprachiger Autoren - diese Einblicke in fremde
Welten können Übersetzer und Verlage den deutschen
Lesern nur gemeinsam ermöglichen. Daß jetzt die
Gerichte entscheiden, was eine angemessene Vergütung
für Übersetzer ist, ist weder im Sinne des Gesetzes
noch im Sinne der Übersetzer. Wir ziehen Verhandlungen
vor, wie unsere unermüdlichen Gesprächs- und Verhandlungsangebote
seit über drei Jahren beweisen.
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